Laß' rosa Geigen blüh'n

■ Von der zähen Liebe der Schwulen zum deutschen Schlager & umzu: Lust auf Kitsch – und auf die letzten wahren Gefühle

Ach, Uwe – mußte es beim Bügeln sein? Als Du eines morgens (und immer wieder) Marianne dudeltest – ausgerechnet? Als Du, lieber Nachbar, mitsangest: „Er gehört zu mir/ wie mein Name an der Tühür?“ Ja, manche Männer sind sich für kein Klischee zu schade...

Denn natürlich hören alle Schwulen Marianne Rosenberg. So wissen–s allemal die Heteros landauf, landab nachzuplappern. Hinter Marianne und ihrem Erfolgsrevival aber verbergen sich wahre Heerscharen an gottvergessenen Schlagersternchen, die sich zunehmender Beliebtheit erfreuen – vor allem bei den schwulen Gemeinden im Lande. Schon feiert das heimische Café Homolulu Oldieabende; schon versammeln sich Grüppchen zum kollektiven Schlager-Grand-Prix-Genuß; und schon fragt „Magnus – das schwule Magazin“: „Haben Schwule einen gemeinsamen Musikgeschmack? Und wenn ja: welchen?“ Die neuen Freunde der alten Herzschmerzmelodien aber zucken mit den Schultern – und hören kreuz und querbeet all das, was anderen Zeitgenossen tunlichst peinlich ist.

„Mut zur Peinlichkeit“, sagt Ingo also, und grinst dabei schön bübisch. Ohne die nötige Selbstironie ließe sich das meiste recycelte deutsche Liedgut auch gar nicht ertragen. Denn mit Marianne Rosenberg fängt's ja erst an, und geht über Lena Valaitis (“José, der Straßenmusikant“) und Cindy & Bert (“Die sind in sich schon eine Karikatur“) bis hinab zu Johanna von Koczian: „Das bißchen Haushalt“, fällt der Schlagerfreundeskreis schmunzelnd in den Refrain ein, und ist somit schon wieder beim Thema Bügeln gelandet.

Die Lust an der Selbstverkitschung, am ironischen Spiel mit dem Klischee der schlagerseligen Heulsuse, ist allerdings nur der halbe Spaß. Die andere Hälfte dieser Leidenschaft liegt in der letztlich ungebrochenen Wirkung der schönen Schlagerwunderwelt. Was z.B. Ralf so an Heroinnen wie Barbra Streisand und Bette Midler schätzt ist „das schön Triefende, Schmalzige“ ihrer Miniopern. Und dann die satten Arrangements, zielgenau auf die Tränendrüse orchestriert: „Ich höre diese Geigen und schmelze nur so dahin.“ Das war eben noch „richtige Musik“, assistiert Andreas, der im Homolulu die Oldieabende dirigiert; „ohne Synthis, mit echten Geigen...“ und mit dem Versprechen wahrer Gefühle.

Und da stehen neben dem deutschen Schlager eben gleichberechtigt die Operette, 70er-Jahre-Soul und Chansons. Wer Mariannes „Marleen“ im Plattenschrank hütet, hat auch Marlene (die echte) gern. „Es ist schon so“, ahnt Ralf, „daß Schwule für Liebesfragen empfänglicher sind.“ Wer hörte da nicht gern Versprechen wie: „Eine neue Liebe ist wie ein neues Leben (Schalalala)“? Zumal, wer nur genau und lang genau hinhört, neben Tröstlichem auch Aufmüpfiges, ja: Identitätsstiftendes in den Texten entdecken kann. Zielgenau spricht u.a. Bernd Clüvers Lyrik die Schwulen an: Der mäßig erfolgreiche Titel „Mike und sein Freund“ brachte seinerzeit die zentralen Nöte schwuler Lebensgemeinschaften auf Hitparaden-Niveau.

So sitzen Ingo & Co. heute wie damals vor der Mattscheibe, wo nämlich längst die alten Hitparaden und auch Ilja Richters „Disco 74“ ff. wiederholt werden. Die Videomitschnitte sind dann im lauschigen Homolulu-Keller zu erleben, „samt Räucherstäbchen und Knabbermischung“. Denn nicht zuletzt lassen die alten Schlagerkamellen auch die Erinnerung an Zeiten auferstehen, in denen die Sorgen um Liebe und Beruf noch in weiter Ferne lagen. „Das Tröstliche an diesen Liedern ist so dieses Unbeschwerte“, sagt Ingo. Wenn Vicky jauchzend nach Lodz fährt, dann versetzt sie Ingo und die Seinen zurück in „die Zeit der Feten und der Kindergeburtstage“.

Die nächste Fete kommt bestimmt – beim Grand Prix, wo vorm Fernseher über die Haltungsnoten und das Aussehen der Sängerknaben abgestimmt wird; bei privaten 70er-Jahre-Parties; oder bei der Mitsingsang-Karaoke, wo Uwe vollends in Mariannes Rolle schlüpfen darf, um den Liebsten zu beschwören: „Er gehört zu mihiir...“

Thomas Wolff

Nächster Oldieabend (Motto: „Golden Memories“) im Café Homolulu: Dienstag, 12.7., 20 Uhr