Steiler Aufstieg, harter Fall

■ Gesichter der Großstadt: Ohne Heinz Florian Oertel lief im DDR-Fernsehsport nichts / Heute schaut sich der Abgewickelte die Weltmeisterschaft zu Hause an

Mein Gott, diese Stimme! Wenn Heinz Florian Oertel spricht, fühle ich mich glatt um Jahre zurückversetzt. Dieses tiefe Brummen, diese Ruhe und Gelassenheit! Oertel beschwört die guten alten Zeiten. Dabei agitiert er einen Tick zu glatt, fast aalglatt. Ohne Versprecher, ohne nachdenkliche Zwischenpause. Und wenn er dieses kleine, ferne Land wie selbstverständlich als „Deutschen Demokratische Republik“ bezeichnet, jagt es mir einen wohligen Schauer über den Rücken. Ach ja, damals... Braungebrannt ist er, und noch immer hat er diesen federnden, athletisch ausholenden Schritt. Heinz Florian Oertel: Über 40 Jahre hinweg war er für DDR-Bürger die Inkarnation eines Sportjournalisten. „Ich habe 17 Olympische Spiele im Fernsehen übertragen, siebzehnmal die Friedensfahrt kommentiert und allein 25mal die Eiskunstlauf-WM begleitet. Eigentlich müßte das als bundesdeutscher Rekord gelten“, kommentiert er seine berufliche Laufbahn. Doch damit nicht genug, Oertel beglückte die Fernsehzuschauer östlich der Elbe auch noch als Moderator und Conférencier, präsentierte sich zwanzig Jahre lang als kecker Fragesteller in der Sendung „Porträt per Telefon“, schrieb drei Bücher und erhielt hochdotierte Auszeichnungen. Vom „Heinrich-Greif-Preis“ bis zum „Vaterländischen Verdienstorden“ in Gold. Eine steile Karriere, von den einst Mächtigen im Ossi-Land kräftig gefördert.

Dabei muß sich Heinz Florian Oertel den Vorwurf gefallen lassen, jahrzehntelang seine Stellung als alleiniger Machthaber in der Adlershofer Sportredaktion weidlich ausgenutzt zu haben. Ohne ihn lief nichts, andere Kollegen hatten kaum je eine Chance, sich neben dem „Starreporter“ zu profilieren. „Damit kann ich leben“, sagt er heute. „Aber Sie müßten mal Peter Schreier oder Theo Adam fragen, ob die sich um die Arbeit gerissen haben oder ob sich die Auftraggeber um sie rissen.“

Heinz Florian Oertel scheint sich in der Rolle des gnadenlosen Rhetorikers zu gefallen. Der 67jährige lehnt sich wohlgefällig in den gut gepolsterten Sessel zurück und strahlt. Das Rentenalter sieht man ihm nicht an. Locker, flockig und adrett im Jeanslook gekleidet, die weißen Tennissocken gut hochgezogen. Nur kurzzeitig scheinen einmal die Pferde mit ihm durchzugehen: „Ich gehörte zu den besten Deutschen.“ „Sportreportern“, fügt er schnell noch hinzu.

Über seine Verantwortung dabei möchte er heute nicht sprechen. Aber er ist sich sicher, daß der Sport innerhalb des DDR- Journalismus eine Ausnahme war. Denn: „Sport geht immer mit Wahrheit um. Ich kann ja wohl nicht sagen, daß Täve Schur, unser Rennfahrer, Erster geworden ist, wenn er in Wirklichkeit auf dem dritten Platz landete.“ Daß gerade der Sport in der DDR als hochsensibler politischer Bereich, darauf ausgerichtet, dem Klassenfeind die Überlegenheit des Sozialismus zu demonstrieren, verstanden wurde, verschweigt er.

Aber Heinz Florian Oertel versteckt seine Vergangenheit nicht. Warum auch? Noch heute sagt er: „Ich habe es als ein großes Glück empfunden, in diesen 40 Jahren Sportreportagen machen zu können.“ Und spricht dabei von der „großartigen olympischen Idee“, von „der Ehre, in diesem Geist gewirkt zu haben“, und davon, daß „der Sport eine Brücke zu anderen Menschen, zur Friedlichkeit und Freundschaft“ sei.

Als der nachmalige 17malige „DDR-Fernsehliebling“ 19jährig aus dem Krieg zurückkam, spielte er am Cottbuser Stadttheater den „jugendlichen Helden und Liebhaber“. Nur kurze Zeit später wurde ein Rundfunkstudio in Cottbus eröffnet – seine journalistische Laufbahn begann. Und schon zwei Jahre später saß Heinz Florian Oertel in den Studios des DDR- Fernsehens. Dort blieb er bis zum Ende, bis zur Abwicklung des DFF 1991. Ein tiefer Fall, denn fortan wollte niemand mehr etwas vom ehemaligen „Sportreporter Nr. 1“ hören.

Vorbei war es mit Oertels blumiger Fernsehsprache. Denn bekannt, geliebt und von manchen gehaßt wurde er vor allem durch seine immerwährenden Versuche, aus der klischeehaften Wortgewalt eines Sportreporters auszubrechen. Heitere Anekdoten dazu machten in ostdeutschen Wohnzimmern die Runde. 1980 beispielsweise, als Waldemar Czierpinsky in Moskau während der Olympiade seinen triumphalen Marathonsieg feierte. Aus dem Off tönte damals ein begeisterter Heinz Florian Oertel: „Waldemar, Waldemar, Waldemar, also Väter, nennen Sie Ihre Söhne Waldemar, haben sie Mut!“ Hübsch, was? Oder die Geschichte mit dem verregneten Fußballduell: „Das Spiel beginnt, und die Regenfäden baumeln vom Himmel.“ Vom „Ihr Röckchen drehte sich im eigenen Wind“ – beim Eiskunstlauf – ganz zu schweigen.

Für die heute nachrückende Sportreporter-Riege hat der Heinz Florian Oertel indes nicht viel übrig: „Natürlich gibt es auch ein paar gute Leute, die dort vor der Kamera stehen. Die meisten jedoch machen nichts weiter, als gemütlich zu schwatzen. Ich kann mit Leuten nichts anfangen, die ihren Job nicht ernst nehmen.“

Verbitterung? Probleme mit dem Alter? „Ich bin mir meiner 67 Jahre durchaus bewußt.“ Was macht er heute? „Mein Hauptberuf: Rentner. Meine Hauptbeschäftigung: Klagen um das Rentenrecht.“ Er kann und will sich nicht damit abfinden, als ehemaliger „Staatsdiener“ nur die Hälfte der ihm zustehenden Altersversorgung zu erhalten. Die Chancen für eine Klage dagegen stehen allerdings schlecht. Aber: „Wer nicht kämpft, kann auch nicht gewinnen!“ Ein Satz, den Oertel in seinen Reportagen oft genug gebrauchte. Anja Nitzsche