Sanssouci
: Vorschlag

■ Gastspiel aus Rudolstadt: Daniil-Charms-Abend in der Rost Bühne

„Da ging einmal ein Mann ins Büro und traf einen anderen Mann...“, so erfrischend kurz kann Prosa sein. Weiter geht es mit „der ein polnisches Weißbrot kaufte. Das ist eigentlich alles.“ Der abgeschlossene Roman, eine radikale Kurzform, wurde von dem russischen Autor Daniil Charms schon in den 30er Jahren geprägt. Er erzählt paradoxe, fragmentarische Geschichten, spielt wie Karl Valentin mit der Sprache auf der Tonleiter der Absurdität. In seinen dichterischen Anfängen den Futuristen nahe, gründete er 1926 eine eigene Gruppe „Die Tschinari-Schule“. Ein Jahr später entstand die „Vereinigung der realen Kunst“, die in der Abkürzung Oberiu bekannt wurde. Es war die letzte linke literarische Gruppe im Leningrad der 20er Jahre. Mit theatralischen Rezitationsabenden machten die Oberiuten ihr Werk publik, das kaum verlegt wurde. Das waren skandalerregende Veranstaltungen, bei denen die Wände mit Slogans dekoriert waren wie „Die Kunst ist ein Schrank“. Für den Charms-Abend in der Rost Bühne wurde diese programmatische Möbel-Kunstmetapher als Titel ausgewählt. Nina Kolaczek und Otto Strecker, Ensemblemitglieder des Rudolstädter Theaters, haben für ihr Berliner Gastspiel die szenische Lesung erweitert. Eine knappe Stunde hört man von der wundersamen Vermehrung eines Bonbons, von der Frau „als Werkbank der Liebe“, dem spirituosentrinkenden Nikolai Iwanowitsch, um den herum nichts ist. Gibt es dann überhaupt diesen Trinker oder nur die Spirituose? Oder der Mann, dem eine Kugel aus dem Kopf fiel: „Steck sie wieder rein“ ist die Entgegnung auf seine ihn erschreckende Kopfgeburt. Abwechselnd wird gelesen, den Vortrag ihres Kompagnons kommentiert Nina Kolaczek mit heimtückischem Grinsen ins Publikum. Nicht nur die baumelnden Zöpfe, das Springseil um den Hals, erinnern bei ihr an Pippi Langstrumpf. Doch zieht sie keine Kröten aus der Tasche, sondern bringt die Texte auf den Punkt. Der pomadisierte Otto Strecker verkörpert mehr das Abgründige bei Charms, während sie sich einfach köstlich amüsiert. „Mich interessiert das Leben nur in seiner unsinnigen Erscheinung“, schreibt Charms, die Stalinisten sperrten ihn ins Gefängnis, wo er 1942 verhungerte. Er war einer der vielen, dessen Texte als konterrevolutionäre Wurfgeschosse angesehen wurden: „Gedichte muß man so schreiben, daß sie, wenn man sie durchs Fenster wirft, die Fensterscheibe zerschlagen.“ Caroline Roeder

Otto Strecker und Nina Kolaczek Foto: Sebastian Greuner

Noch heute und am 14.7., 21 Uhr, Rost Bühne, Knesebeckstraße 23, Charlottenburg.