Kommunist, Konfuzianer und Schamane

Der nordkoreanische Diktator Kim Il Sung verläßt sein „Arbeiterparadies“ gerade noch rechtzeitig  ■ Von Peter Lessmann

Bis zum letzten Atemzug war er davon überzeugt, daß sich das Rad der Geschichte wieder wenden und der Sozialismus am Ende doch siegen werde. Hartnäckig hat Nordkoreas Staatschef Kim Il Sung dem Zeitgeist getrotzt und sich gegen jede Öffnung seines isolierten Regimes in Fernost gesträubt. Jetzt ist der Diktator selbst Geschichte geworden: Er starb am vergangenen Freitag in der Hauptstadt Pjöngjang im Alter von 82 Jahren, nach offiziellen Angaben an einem Herzinfarkt.

Und noch im Grab bleibt ihm die Genugtuung, seinen kapitalistischen Feinden bis zum Ende widerstanden zu haben. Mehr noch: Mit seiner undurchsichtigen Atompolitik konnte er die Regierung der USA, des mächtigsten Landes der Welt, noch wenige Wochen vor seinem Tod dazu zwingen, ihren Ex-Präsidenten Jimmy Carter an seinen Hof in Pjöngjang zu entsenden. Niemand weiß, ob Nordkorea die Bombe hat oder sie bauen kann. Aber Kim Il Sung durfte noch erleben, daß die amerikanischen Politiker sich nicht mehr trauten, den Kontakt mit ihm zu verweigern.

Neue Denkmäler brauchen die Nordkoreaner ihrem „Großen Führer“, wie Generalissimo Kim von 22 Millionen Menschen genannt wurde, nicht mehr zu setzen. Seit mehr als vier Jahrzehnten hat der große Marschall und Generalsekretär der Arbeiterpartei einen unübertroffenen Personenkult um sich aufgebaut: Über 34.000 Denkmäler und überlebensgroße Kim- Statuen wurden im ganzen Land errichtet.

Kim Il Sungs Bild hängt in jedem Haushalt. Alle Nordkoreaner tragen sein Konterfei direkt über dem Herzen auf dem rechten Fleck. Die Hauptstadt Pjöngjang ist mit ihrer realsozialistischen Monumentalkunst ein Schaukasten des „Kimilsungismus“. Vor dem Revolutionsmuseum im Zentrum der Metropole weist der Führer aus Bronze und mit Gold überzogen seinen Untertanen die Richtung.

Wie es aber in dem nordkoreanischen „Arbeiterparadies“ wirklich aussieht, weiß keiner genau. Ohne Sondergenehmigung durchs Land zu reisen, ist selbst der einheimischen Bevölkerung nicht gestattet. Menschenrechtsorganisationen sprechen von Lagern mit Zehntausenden von politischen Gefangenen. Berichte über Unruhen wegen Nahrungsmittelknappheit oder Putschversuche drangen immer wieder in den Westen, konnten jedoch nie bestätigt werden. Kim Il Sung gelang es, sein Land und Volk fast vollständig von der Außenwelt abzuschneiden.

Um seine Person rankt sich ein wahrer Mythos. Biographien über ihn, seine Werke und Schriften füllen halbe Bibliotheken. Jedes Kind in der Schule lernt, daß nur durch den heroischen Kampf des Großen Führers die japanischen Imperialisten (1910–1945) von der koreanischen Halbinsel vertrieben wurden, daß die amerikanischen „Bastarde“ die ärgsten Feinde des Landes sind und die Südkoreaner unter einem Marionettenregime der USA hungern müssen. Die Orwellsche Vision – in Nordkorea wurde sie Wirklichkeit. Die Gedankenkontrolle schien perfekt zu funktionieren.

Vor den Toren Pjöngjangs wurde Kim Il Sung am 15. April 1912 geboren. Über den Lebenslauf des jungen Kim in den 20er und 30er Jahren ist nur wenig bekannt. Nach westlichen Angaben ging er bis 1925 in die Mandschurei und besuchte dort eine Missionsschule. Als die japanischen Invasoren in Korea und China immer brutaler gegen die Bevölkerung vorgingen, soll er in die Sowjetunion geflüchtet sein. Südkoreanische Quellen behaupten, Kim habe bis zu Beginn der 30er Jahre sogar antikommunistischen Gruppen nahegestanden, sein Vater sei von Kommunisten ermordet worden. Nach nordkoreanischen Biographien organisierte er dagegen schon früh den Befreiungskampf gegen die japanischen Besatzer und wurde bereits 1931 Kommandant einer Guerilla-Einheit. Kim Il Sung, schreiben die staatlichen Historiker in Pjöngjang, sei größer als alle führenden chinesischen und sowjetischen Genossen, und er stamme aus der bedeutendsten revolutionären Familie in der Geschichte.

Der Weg zur Macht

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges kehrte Kim jedenfalls, in sowjetischer Uniform, als General nach Pjöngjang zurück. Die Halbinsel war von den japanischen Kolonisatoren befreit, und die Koreaner hofften endlich auf Unabhängigkeit. Doch die Alliierten, allen voran die USA, wollten das unterjochte Korea nicht so schnell in die Freiheit entlassen. Eine nur provisorisch gedachte Trennungslinie entlang des 38. Breitengrades, die das Land in eine amerikanische Zone im Süden und sowjetische im Norden teilte, sollte zur undurchdringlichsten Grenze der Welt werden.

Der beginnende Ost-West- Konflikt schwappte nach Fernost über: Während die USA in Südkorea die nach der japanischen Kapitulation spontan gebildeten Volksausschüsse der Koreaner zerschlugen und den erzreaktionären Syngman Rhee an die Macht brachten, nutzten Kim Il Sung und Stalin die Komitees zum Ausbau ihrer eigenen Machtbasis in Nordkorea.

Im Dezember 1945 wurde Kim Il Sung Vorsitzender des Organisationskomitees

der Kommunistischen Partei Koreas und wenige Monate später auch Chef einer provisorischen Regierung. Kim betrieb den Zusammenschluß mit der Yenan- Gruppe, eine Organisation koreanischer Kommunisten aus dem chinesischen Exil, zur Nordkoreanischen Arbeiterpartei. Drei Wochen nach Ausrufung der Republik Korea im Süden wurde am 9. 9. 1948 in Pjöngjang die Demokratische Volksrepublik Korea proklamiert und Kim Il Sung deren erster Ministerpräsident. Die Teilung war jetzt auch formal besiegelt. Ein Jahr später erreichte der Diktator den Gipfel der Macht, als er auch den Vorsitz der vereinigten Nord- und Südkoreanischen Arbeiterpartei übernahm.

Ob Kim und die Machthaber im Kreml den Koreakrieg (1950–53) bewußt anzettelten, darüber sind sich die Historiker bis heute nicht einig. Zu Provokationen des Südens und Scharmützeln an der innerkoreanischen Grenze war es schon vor Ausbruch des Bruderkrieges gekommen. Südkoreas Staatschef Syngman Rhee hatte oft genug mit dem Säbel gerasselt und gedroht, die Wiedervereinigung notfalls mit Gewalt zu er-

zwingen. Doch Kim Il Sung kam ihm zuvor. Die besser ausgerüstete Volksarmee Nordkoreas überrannte in den ersten Kriegswochen den Süden. Ohne das Eingreifen der amerikanischen Truppen unter General MacArthur wäre Kim die kommunistische Wiedervereinigung im „großen vaterländischen Befreiungskrieg“, wie der Koreakrieg im Pjöngjang offiziell genannt wird, sicherlich geglückt. Mit einem Waffenstillstandsabkommen endeten die Gefechte 1953 schließlich dort, wo sie drei Jahre zuvor begonnen hatten – am 38. Breitengrad. Die erschreckende Bilanz: zwei Millionen Tote, noch mehr Verletzte und zehn Millionen Familienangehörige, die für immer auseinandergerissen wurden. Die Wunden des mörderischen Krieges sitzen tief und sind bis heute nicht geheilt.

Für Fehler und Versagen der eigenen Politik machte Kim Il Sung immer andere verantwortlich, er allein war zuständig für Siege. So eröffnete er noch während des Koreakrieges den Angriff auf Widersacher in den eigenen Reihen. Als Nikita Chruschtschow 1956 mit der Stalin-Ära abrechnete, kam für Nordkoreas Staatschef die größte Herausforderung. Führende Ideologen der Yenan-Gruppe, darunter deren Kopf Kim Tu Bong, griffen den Personenkult des Diktators öffentlich an. Doch die Kritiker fanden kein Gehör, der Diktator antwortete mit der bislang wohl größten Säuberung in der Geschichte der Arbeiterpartei. Die Opponenten der Yenan-Gruppe und des sowjetischen Flügels wurden entmachtet und aus der Partei ausgeschlossen. Der Staatschef war zum unumstrittenen Alleinherrscher Nordkoreas aufgestiegen. Unter seiner Führung ist Nordkorea das „Einsiedler-Königreich“, wie die Halbinsel in Fernost bis zum Ende des letzten Jahrhunderts genannt wurde, geblieben. Wichtigstes Instrument und beherrschende Staatsdoktrin war dabei seine Juche-Ideologie – Unabhängigkeit und Autarkie. In dieser

spezifischen Variante des Sozialismus verband er geschickt den Marxismus-Leninismus mit traditionellen Werten des Konfuzianismus: Loyalität, Fürsorge und Gehorsam. Kim Il Sung sicherte seine Herrschaft, indem er die alten familiären Tugenden des Konfuzianismus aufs ganze Land auszudehnen versuchte. Er machte Nordkorea zu einer großen Sippe, die ihm und seiner Führerpersönlichkeit absolut ergeben war. In diesem Kimilsungismus aufgehen konnten selbst Elemente des Schamanismus, dem ältesten und heute noch verbreiteten Volksglauben in ganz Korea: der Große Führer Kim als Schamane versetzt sein Volk in Ekstase, beschwört die Geister und bringt den Menschen Glück und das Paradies auf Erden.

Eine Art Unabhängigkeit

Nordkorea ist aber keineswegs nur ein monströses Gebilde und der Staatschef kein wahnsinniger Diktator, wie er oft in westlichen Medien charakterisiert wird. Kim Il Sung besaß, was ihm selbst seine bittersten Feinde bescheinigen – Charisma und teilweise Legitimität. Mit Enthusiasmus begann unter seiner Führung während der Zeit des Wiederaufbaus in den 50ern das koreanische Wirtschaftswunder nicht im kapitalistischen Südkorea, sondern nördlich der Demarkationslinie. Die Abschaffung des feudalen Landsystems war eine seiner populärsten Maßnahmen. Seine engsten politischen Verbündeten in Peking und Moskau hielt Kim immer auf Distanz. Er ließ sich nie vor den Karren einer der beiden Blöcke spannen, sondern spielte sie gegeneinander aus. Zunehmende politische Sklerose und mangelnde Reformen brachten den wirtschaftlichen Aufstieg Nordkoreas in den 60er Jahren jedoch schnell zum Stillstand. Gleichzeitig setzte Südkorea zu einer nachholenden Industrialisierungsjagd an und liegt heute als sogenanntes Schwellenland wirtschaftlich um ein Vielfaches vor dem Bruderstaat im Norden. Mitte der 70er Jahre lief dann der Personenkult in Nordkorea völlig aus dem Ruder: neben dem „Großen“ huldigte das Volk jetzt auch dem „Geliebten Führer“ Kim Jong Il, Sohn des Staatschefs und designierter Thronfolger in Pjöngjang.

Die Annäherung zum kapitalistischen Südkorea betrieb Kim Il Sung mit großer Vorsicht. Die ersten Gespräche mit Seoul begannen schon Anfang der 70er Jahre, gerieten jedoch immer wieder ins Stocken. 1985 willigte Kim erstmals zu einem begrenzten Besucheraustausch ein. Einen Durchbruch erzielten beide Seiten dann im Dezember 1991, als sie einen Aussöhnungsvertrag unterzeichneten. Doch weiter wollte Nordkoreas Diktator nicht gehen, das historische Vertragswerk blieb Papier. Kim fürchtete, daß eine Öffnung des Landes und weitere Konzessionen seinem ohnehin in die Enge getriebenen Regime den Todesstoß versetzen würde.