■ Kim Jong Il tritt die Nachfolge Kim Il Sungs an: Familiendrama in Pjöngjang
Die nordkoreanische Horrormischung aus religiöser Diktatorenverehrung, Arbeitslagern für Andersdenkende und Kriegsdrohungen, an die sich der Rest der Welt längst gewöhnt hatte, hat sich nun über Nacht in ein noch explosiveres Pulverfaß verwandelt, auf dem nun ein vermutlich halbverrückter und unzurechnungsfähiger Diktator mit Streichholz und Lunte spielt. Zugegeben: Der designierte nordkoreanische Staatschef Kim Jong Il hat bisher nur einmal in seinem Leben ein Interview gegeben – schriftlich, in einer kubanischen Zeitung. Offiziell ist er nur einmal ins Ausland gereist, 1983 nach China, wohin er aufgrund seines respektlosen Verhaltens nie wieder eingeladen wurde. Die Welt weiß also sehr wenig über den Sohn des ihr seit Jahrzehnten wohlbekannten Kim Il Sung, aber sie weiß genug.
Alle Bilder, die der Welt von Kim Jong Il bekannt sind, erinnern mit erschreckender Ähnlichkeit an jenen „Großen Diktator“, den einst Charlie Chaplin porträtierte. Sein Auftritt ist stets zackig und zappelig zugleich. Der „Geliebte Führer“, wie ihn die Staatspropaganda nennt, sieht niemandem ins Auge, verfällt zuweilen in starre Apathie, um sich dann wieder mit herrischem Blick von den alten kommunistischen Partisanen abzugrenzen, die ihn auf den Podesten der Parteitage und Paraden stets umringen. Die Aussage dieser Bilder aber erscheint vor allem deshalb eindeutig, weil sie von den Urteilen derer bestätigt wird, die Kim junior persönlich erlebten: Acht Jahre mußte der südkoreanische Filmemacher Sheen Sang Okk in der Nähe Kims verbringen, weil dieser seine Filme verehrte und Sheen gefangennehmen ließ. Sheen erlebte den „kindischen Diktator“ tagtäglich, wie er seine Diener quälte und ihn als Künstler hofierte. Von weiteren Besonderheiten des angehenden Staatschefs berichten osteuropäische Diplomaten aus der Zeit des Kalten Krieges: Diplomatenempfänge beim jungen Kim fanden damals stets ohne den Gastgeber statt, der zwar für viel Wein und Frauen sorgte, die Party dann aber nur per Videokamera auf seinem Bildschirm verfolgte.
Die psychische Verformung Kims, der die Mutter im Alter von sieben Jahren verlor, daraufhin nur den Vater verehrte und alle übrigen Familienmitglieder schroff ablehnte, ist leicht zu durchschauen. Was aber daraus für Taten folgen, wenn Kim frei über die Macht in Nordkorea verfügt, weiß niemand. Insofern mag es einleuchten, wenn Südkorea und der Westen an dem gerade erst begonnenen Dialog mit Nordkorea festhalten wollen. Nur so läßt sich über den Einfluß des unberechenbaren Herrschers in Pjöngjang mehr Gewißheit erlangen. Allerdings sind die Hoffnungen, die nach den erfolgreichen Verhandlungen zwischen Jimmy Carter und dem alten Kim Il Sung auflebten, inzwischen gegenstandslos. Kim Il Sung war innerhalb der nordkoreanischen Hierarchie die mit Abstand verläßlichste Größe; sein Sohn aber verkörpert unter nordkoreanischen Verhältnissen das Gegenteil vom Vater. Warum aber gab der Vater dann seinem Sohn die Atombombe? Nordkorea bleibt für die Welt ein gefährliches Familiendrama. Georg Blume, Tokio
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