■ An Tschernobyl zeigt sich die Ohnmacht der G7
: Zahlt das Lösegeld!

Macht fasziniert. Vor allem dann, wenn sie sich über Reichtum definiert. Deshalb reisen jedesmal mehr Journalisten zum Gipfeltreffen der G-7-Regierungschefs an als im Vorjahr, und deshalb auch entwerfen Dritte-Welt- und Umweltgruppen immer detailliertere Gegenpositionen zu den Gipfelerklärungen. Als zivilisierte Weltenlenker gefeiert von den einen, als böses Machtkartell geschmäht von den anderen – fest steht allemal: mit der Macht der G7 ist es nicht weit her. Daß die G7 die Armut von zwei Dritteln der Weltbevölkerung beseitigen werden, glaubt schon lange niemand mehr.

Aber selbst da, wo es gilt, ein klar definiertes Problem zu lösen, versagt der Club der reichen Industrieländer: Tschernobyl bedroht auch nach dem Gipfel ganz Europa. Denn für 200 Millionen US-Dollar wird sich die Ukraine Tschernobyl nicht abkaufen lassen – schließlich hat sie sechs Milliarden verlangt. Und alle über die gewährte Summe hinausgehenden Zusagen über mögliche Kredite internationaler Finanzorganisationen sind immer an Wirtschaftsreformen seitens der ukrainischen Regierung gebunden – und die sind nirgendwo in Sicht.

Die Ukraine, ein politisch und wirtschaftlich höchst instabiles Land, setzt zu ihrer Energieversorgung erklärtermaßen auf Atomkraft. Das macht sie unabhängig von Öl- und Gaslieferungen aus Rußland, die in teuren Devisen zu bezahlen wären. Zwar verfügt die Ukraine über große Kohlevorkommen, doch müßte sie Milliarden Dollar investieren, um eine stete Förderung zu gewährleisten: Geld, das sie nicht hat und das in weitaus größeren Summen nötig wäre, als die G7 in Neapel zu spenden bereit gewesen sind. Aus Sicht der ukrainischen Regierung eignet sich ein laufendes AKW in Tschernobyl außerdem hervorragend zur Erpressung von Hilfsgeldern aller Art. Jedoch: Wenn Tschernobyl im nächsten Winter wieder mit Vollast gefahren wird, ist die Wahrscheinlichkeit eines schweren atomaren Unfalls größer als die, daß nichts passiert – das haben inzwischen sogar die Experten der Weltbank festgestellt.

Die Weltwirtschaft wird heute nicht mehr exklusiv von den USA und ihren Verbündeten, sondern in großem Maße von der Transformation Osteuropas und den neuen Wirtschaftsmächten Asiens geprägt. Um die Ukraine zur Stillegung Tschernobyls oder andere frühere Ostblockländer zum Abschalten der weiteren dreizehn Reaktoren des gleichen Typs zu bewegen, reicht es nicht, daß die G7 diesen Wunsch äußern und ein paar peanuts hinüberreichen. Eine derartige Politik konnte in den Achtzigern gegenüber Lateinamerika im Sinne der reichen Länder funktionieren, gegenüber Osteuropa ist sie zum Scheitern verurteilt.

Bis die alten Institutionen westlicher Weltpolitik abgeschafft oder in langwierigen Prozessen den neuen Gegebenheiten angepaßt sein werden – die Aufnahme Jelzins als politisches Mitglied in den Club ist ein erster Schritt –, wird längst wieder eine Strahlenwolke über Europa niedergegangen sein. Wenn es Kohl und Mitterrand also ernst wäre mit ihrer G-7-Initiative zur Stillegung Tschernobyls, bliebe ihnen nichts anderes übrig, als das geforderte Lösegeld an die Ukraine jetzt aus den eigenen Staatskassen zu zahlen. Doch da erfüllt der Gipfelbeschluß eine hervorragende Alibifunktion: Wir haben es ja versucht, ist nur leider schiefgegangen. Die Eltern kleiner Kinder sollten schon mal unbelastetes Milchpulver bunkern. Donata Riedel, Neapel