In Irland ist „Abtreibung“ (k)ein Thema

■ Gesetzliche Regelung soll erst nach den Parlamentswahlen in drei Jahren beraten werden / IrInnen sprechen sich für Reisefreiheit aus / Gibt es einen neuen „Fall X“?

Dublin (taz) – Mit dem Thema Abtreibung läßt sich in Irland keine Wahl gewinnen – deshalb kehrt man es unter den Teppich. Das heiße Eisen, so ließen mehrere Minister durchblicken, soll bis nach den Parlamentswahlen in drei Jahren liegenbleiben. Bei ihrem Amtsantritt vor anderthalb Jahren hatte die Mitte-Rechts-Koalition aus Labour Party und Fianna Fáil (Soldaten des Schicksals) lauthals versprochen, die Abtreibungsfrage gesetzlich zu regeln. Inzwischen glaubt die Regierung, daß dadurch das Parlament paralysiert und die Koalition zusammenbrechen würde.

Bis vor zwei Jahren schienen die Fronten geklärt: Die IrInnen hatten 1981 in einem Referendum das gesetzliche Abtreibungsverbot in die Verfassung aufgenommen. Doch so wasserdicht, wie die selbsternannten „Lebensschützer“ glaubten, war der Paragraph nicht: Das höchste irische Gericht entschied 1992, daß bei Lebensgefahr für die Schwangere – und dazu rechneten die Richter auch Selbstmordgefahr – eine Abtreibung zulässig sei. Das Urteil bezog sich auf den „Fall X“, der vor gut zwei Jahren für weltweite Schlagzeilen gesorgt hatte: Einer 14jährigen, die nach einer Vergewaltigung schwanger geworden war, hatte ein Gericht in erster Instanz die Ausreise verboten, um eine Abtreibung in England zu verhindern.

Das höchstrichterliche Urteil stürzte die Regierung in ein Dilemma, denn nun waren die PolitikerInnen gefordert: Der Richterspruch klärte weder, ob Schwangerschaftsunterbrechungen in Irland vorgenommen werden können, noch sagte er etwas über Fristen aus. Die Regierung versuchte, der Bevölkerung den Schwarzen Peter zuzuschieben und veranstaltete ein neues Referendum. Darin sprachen sich die IrInnen zwar eindeutig zugunsten der Reisefreiheit und des Rechts auf Informationen über Abtreibung aus, doch lehnten sie den Textvorschlag zum Reizthema ab: Den „Lebensschützern“ ging er zu weit, weil er die Legalisierung von Abtreibungen bei akuter Lebensgefahr für die Schwangere vorsah, den Frauenorganisationen ging er nicht weit genug, weil Gesundheitsgefährdung als Abtreibungsgrund ausgeschlossen werden sollte.

Opus Dei droht der Regierung

Im September oder Oktober sollen Reise- und Informationsfreiheit gesetzlich geregelt werden. Danach müssen in den irischen Ausgaben der englischen Zeitschriften die Anzeigen von Abtreibungskliniken nicht mehr geschwärzt werden, und ÄrztInnen dürfen mit ihren Patientinnen über einen Schwangerschaftsabbruch sprechen. Wo dieser aber vorgenommen werden könnte, ist weiterhin unklar. Ruairai O'Hanlon, einer der höchsten Richter des Landes und Mitglied der erzreaktionären katholischen Organisation „Opus Dei“, gab der Regierung eine deutliche Warnung mit auf den Weg: Sollte sie sich dazu entschließen, Abtreibung in Irland zu legalisieren, könnten sich zahlreiche Richter weigern, die Gesetze anzuwenden. Mit anderen Worten: ÄrztInnen und Frauen könnten weiterhin angeklagt werden.

Solange sich die PolitikerInnen um das Thema herumdrücken, bleibt alles beim alten. So werden weiterhin rund zehntausend Frauen im Jahr in englische Abtreibungskliniken fahren, weil sich in Irland kein Arzt und keine Ärztin traut, die derzeitige Gesetzeslücke auszunutzen. Wie sollten sie auch, hat ihnen der konservative Ärzteverband für diesen Fall doch mit Ausschluß – also Berufsverbot – gedroht.

Unterdessen scheint es einen neuen „Fall X“ zu geben: Prionsias De Rossa, der Vorsitzende der oppositionellen „Democratic Left“, erwähnte im Parlament ein 15jähriges Inzestopfer. Dem schwangeren Mädchen soll ein Gericht die Ausreise untersagt haben, um eine Abtreibung zu verhindern. Ein Kabinettsminister bestritt das, Einzelheiten sind bisher nicht bekannt. Ralf Sotscheck