Out-of-area-Einsätze vor Gericht

■ Morgen urteilt das Bundesverfassungsgericht über Bundeswehr-Ausflüge außerhalb des Nato-Gebietes / Welche Mehrheit braucht das Parlament?

Bonn (taz) – So unterschiedlich Regierung und Opposition die Aufgaben der Bundeswehr im Ausland definieren, so einig scheinen sie sich in ihren Erwartungen an das morgige Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu sein: In Karlsruhe wird der Zweite Senat unter Vorsitz von Jutta Limbach voraussichtlich deutsche Militäreinsätze außerhalb des Nato-Gebietes für verfassungskonform erklären. Nicht nur nach Somalia, an die Adria und den Luftraum über Bosnien-Herzegowina können dann Bundeswehrsoldaten abkommandiert werden, sondern möglicherweise auch nach Ruanda oder zu anderen fernen Krisenherden.

Offen ist wenige Stunden vor der Verkündung des Urteils allerdings noch, ob die Verfassungsrichter auch Kampfeinsätze der Bundeswehr vereinbar mit dem Grundgesetz halten. Offen ist ebenfalls, ob die Bundesregierung alleine entscheiden kann oder ob eine einfache oder gar eine Zweidrittelmehrheit des Bundestages nötig ist, um Soldaten außerhalb des Nato-Territoriums einzusetzen.

Daß die Regierungspartei FDP in Karlsruhe gegen die auch von ihrem eigenen Parteichef Klaus Kinkel im Bonner Außenministerium mitgetragene Politik klagt, ist nicht die einzige Merkwürdigkeit in dem Verfahren. Schließlich haben die Regierungspolitiker, die nun auf das Urteil warten, schon längst Fakten geschaffen: Der Einsatz von Somalia, über den die Richter urteilen, ist schon längst Geschichte. Auch die Vorbereitungen für den Aufbau von weltweit operierenden „Krisenreaktionskräften“ der Bundeswehr laufen schon lange, obwohl die Karlsruher Richter sie für grundgesetzwidrig erklären könnten.

Drei Klagen hatte der Zweite Senat zu einem Verfahren zusammengefaßt: Die SPD klagte gegen die Entsendung eines Zerstörers zur Überwachung des UNO-Embargos gegen Restjugoslawien im Rahmen einer Nato- und WEU- Aktion. SPD- und FDP-Fraktion wandten sich gegen die Teilnahme deutscher Soldaten an Awacs-Aufklärungsflügen zur Überwachung des Flugverbots über Bosnien- Herzegowina. Und schließlich riefen die Sozialdemokraten im vergangenen Jahr die Karlsruher Richter gegen die Teilnahme deutscher Soldaten an der UNO-Aktion Unosom II in Somalia an.

Die SPD ist der Auffassung, daß für Bundeswehreinsätze außerhalb ihres Verteidigungsauftrages in der Nato eine Grundgesetzänderung für eine Zweidrittelmehrheit notwendig ist. Auch die Liberalen halten eine Grundgesetzänderung für notwendig. Sie begrüßen zwar die militärischen Aktionen und halten sie für verfassungsgemäß, wollen aber die Mitsprache des Parlaments an den Einsätzen im Rahmen von Nato- und UNO- Aktionen festgeschrieben wissen. Das Kabinett hält eine Grundgesetzänderung nicht für erforderlich, würde aber eine Klarstellung durch das höchste Gericht begrüßen, wie Außenminister Kinkel in der mündlichen Verhandlung im April erklärte.

Daß die Richter nachträglich den Somalia-Ausflug und die Awacs-Flüge mit deutscher Beteiligung für verfassungswidrig erklären werden, erwartet also niemand. Schließlich hatte der Senat im April und Juni 1993 einstweilige Anordnungen gegen diese Militäraktionen abgelehnt. Wer mit einstweiligen Anordnungen in Karlsruhe nicht durchdringt, scheitert mit seinem Anliegen meist auch in der Hauptsache.

Nur wenig Phantasie erfordert die Voraussage, daß, ungeachtet der Einzelheiten der Begründung, Opposition und Regierung jedes Urteil als eigenen Erfolg feiern werden. CDU/CSU-Fraktionschef Wolfgang Schäuble verbreitete schon vergangene Woche öffentlich seine Interpretion, den Sozialdemokraten sei es in erster Linie um die Rechtmäßigkeit der Einsätze und nicht um die Mitspracherechte des Parlaments gegangen. Die Festschreibung einer Bundestagsbeteiligung aber werden SPD-Politiker als verfassungsrechtliche Ohrfeige für eine selbstherrliche Bundesregierung feiern.

Daß die Opposition sich nicht in Siegeslaune fühlt, zeigt ihre Ablehnung einer Bundestagssondersitzung zum BVG-Urteil. Der Gesetzgeber habe auch nach der Sommerpause noch Zeit genug, um auf den Richterspruch zu reagieren, meinte SPD-Fraktionschef Hans- Ulrich Klose. Hans Monath