Schmelz der Stile mit blauen Noten

■ Der Hamburger Sommer hat sein brasilianischen Flair: Diverse Stars aus Jazz, Rock und Pop gastieren in der Fabrik, beim West Port und während des Internationalen Sommertheaters

Brasilien. An der Copacabana, dem fünf Kilometer langen Bade-strand Rio de Janeiros liegen, eisgekühlte Getränke mit dem Strohhalm schlürfen und dazu Samba, Salsa- oder Jazz-Klängen lauschen, die das Ohr wie das Schlagen der Wellen umspielen. Unmöglich? Keineswegs: Wir haben das Wetter, die Luftfeuchtigkeit, die gleiche Strandverschmutzung und – was am wichtigsten ist – wir haben im Juli und August in Hamburg auch die passende Musik zu Gast: Brasilianische Stars ohne Ende.

Den Auftakt macht heute der begnadete Gitarrist, Pianist und Flötist Egberto Gismonti. Der Ausnahmemusiker spielt spontane, verständliche Musik die, wie er selber sagt, „voller Leben und Kraft ist. Musik die die Leute auf der Straße pfeifen.“ Dennoch keine populären Songs im herkömmlichen Sinne. Gismonti, der unter anderem schon mit Herbie Hancock, Miles Davies und Quincy Jones spielte, will mit seinen Liedern ein Stück der Kultur seines Landes wiedergeben ohne auf „Standardschienen“ zu springen: „Wenn populär sein heißt, einschmeichelnde, glatte Songs zu schreiben, voller Harmonie, dann bin ich wohl nicht populär. Solche Lieder haben mit den täglichen Erfahrungen nichts mehr zu tun“ (heute, Fabrik, 21 Uhr).

Ein jetzt schon legendärer Konzertabend wird am Dienstag nächster Woche erwartet: Nach 25 Jahren spielen Caetano Veloso und Gilberto Gil wieder gemeinsam. Vor einem Vierteljahrhundert verließen die beiden Brasilien und arbeiten seitdem künstlerisch und politisch in ihrem Londoner Exil. Die sogenannte Tropicalismo-Bewegung wurde von ihnen begründet.

Noch Mitte der sechziger Jahre spielten und sangen sie Bossa Nova nach. Doch damals waren die Einflüsse von Beat und Rockmusik nicht mehr aufzuhalten. Veloso und Gil kombinierten kurzerhand afroamerikanische Klänge und Rhythmen mit angelsächsischen Stilen. Das Lied „Tropicália“ kam beim Publikum an und die Musik hatte ihren Namen: Tropicalismo. Der damaligen Militärdiktatur kam das alles jedoch verdächtig vor und so kamen die beiden 1969 ins Gefängnis, bis sie kurze Zeit später abgeschoben wurden. Am 19. Juli nun kann man sie wieder hören, die Lieder voller Melancholie, den kraftvollen Rock und die mitreissenden Percussionsstücke (19. Juli, 21 Uhr, im Festivalzelt des „West Port“ vor der Fischauktionshalle). West Port-Zusatzbonbon: Am Freitag danach kommt Gal Costa, Brasiliens große Stimme, die auch mit Gil und Veloso zusammenarbeitet (22. Juli, 20 Uhr).

Eine weitere brasilianische Superlative ist der Sänger und Gitarrist Milton Nascimento. Er ist einer der wenigen Sänger, der das Publikum in seinen Bann reißen kann, ohne daß man den Text verstehen muß. Nascimentos Musik ist zweifellos dem Jazz zuzuordnen und doch findet sich in ihm alles wieder, was jemals gehört wurde und Rang und Namen hat: Die Beatles, Edith Piaf, alle Jazz-Größen, selbst Gregorianischer Gesang und afrikanischer Call-and-Response. (Fabrik, 29. Juli, 21.00 Uhr.

Ebenfalls am 29. Juli ist das Stimmwunder Edson Cordeiro in Hamburg. Der Brasilianer präsentiert ein ungewöhnliches Repertoire: Nina Hagen, Wolfgang Amadeus Mozart und Chico Buarque sind ein Muß für diesen Sänger, der jede Stimmlage schafft und dessen abenteuerliche Mixtur keine Grenzen kennt. Auf keinen Fall will sich Cordeiro mit diesen Coverversionen lustig über die Originale machen – im Gegenteil. Sie sind als individuelle Verbeugung gedacht, die zeigen soll was alles aus einem Stück gemacht werden kann (29./30. Juli, Kampnagel, Halle 2, im Rahmenprogramm des Sommertheaters).

Leider entfällt Ara Ketu am 15. Juli in der Fabrik. Als kleiner Ersatz die Hamburger Samburgo.

Andrew Ruch