Kahlschlag in Mitte
: Propaganda statt Agitation

■ taz-Serie (Teil 2): Der Zollernhof Unter den Linden, einst Sitz des FDJ-Zentralrats, soll einem ZDF-Neubau weichen / Sat.1 läßt Jägerstraße stehen

„Die Linden lang. Galopp! Galopp! Zu Fuß, zu Pferd, zu zweit! Mit der Uhr in der Hand, mit'm Hut auf'm Kopp. Keine Zeit! Keine Zeit! Keine Zeit!“

Das Weimarer Tempo, das der Schlager Walter Mehrings anschlägt, holt die Linden nunmehr auf ganz andere Weise ein. Dem Zollernhof (Unter den Linden 36–38/Mittelstraße 45–46), 1911 als Stahlskelettbau errichtet und laut Denkmalschutz die beispielhafte Verkörperung des damaligen Büro- und Geschäftshauses, droht der Abriß weiterer Gebäudeteile. In dem neoklassizistischen Ensemble von Kurt Berndt (Fassaden und Treppenhaus von Bruno Paul) mit einer für Friedrichstädter Verhältnisse äußerst großzügigen Hofbebauung, thronte zu DDR-Zeiten die Agitationsmaschinerie des FDJ- Zentralrats, nun wollen die Mainzelmännchen vom ZDF dortselbst ihre Hauptstadt-Dependence einrichten.

Am Anfang setzte das ZDF auf Totalabriß des denkmalgeschützten Gebäudes. Der Bezirk lehnte ab, das Verfahren ging in den Widerspruch, und die Senatsverwaltung von Stadtentwicklungssenator Volker Hassemer (CDU), beklagt Dorothee Dubrau, Baustädträtin in Mitte, „fiel um“. Nun befindet sich der ZDF- Neubau im „Genehmigungsverfahren“. Dem Bezirk bleibt nichts mehr übrig, als das von Mehring beschriebene Tempo gegen seine Protagonisten zu wenden, und spielt auf Zeit(verzögerung), eine Variante, die Dubrau „oft als einzige Möglichkeit bezeichnet, die Investoren unter Druck zu setzen und zur Kompromißbereitschaft zu zwingen“. Immerhin hat das ZDF unter Zeitdruck bereits zugesagt, die Fassade Unter den Linden erhalten zu wollen. Doch der Bezirk will auch die Fassade an der Mittelstraße nicht abgerissen wissen.

Im Bezirk verweist man in Sachen Abrißwut der TV-Macher auf die private Konkurrenz des ZDF, der man weitgehende Zugeständnisse abringen konnte: Auf dem Gelände der ehemaligen Defa-Dokumentarfilmstudios, Jägerstraße 27 bis 32, kaufte sich Sat.1 bei der Treuhand ein. Ursprünglich sollten die zum Teil zweihundert Jahre alten Gebäude, als Ensemble wegen ihrer reichverzierten Fassaden und den unterschiedlichen Traufhöhen unter Denkmalschutz gestellt, der Abrißbirne anheimfallen. Einzig der Verzögerungstaktik des Bezirksamtes ist es nun gelungen, einen „ziemlichen Erfolg“ (Dubrau) zu erhandeln. Die Fassaden bleiben, abgerissen wird nur hinten. Uwe Rada