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■ Der WM-Abschied: eine politische BilanzVölker, hört die Signale!

Es gilt ein Fakt festzuhalten, ohne Wenn und Aber: Deutschland ist bei der Fußball-Weltmeisterschaft gescheitert. „Ja, das hat gesessen“ (Rudolf Augstein, Spiegel 27). Und? „Das kann uns nicht Hekuba sein“ (Zeit, Theo Sommer). Gleichwohl, es ist dies weder „die Stunde des Parlaments“ (Klaus Hartung) noch die der „Schuldzuweisungen“ (Peter Glotz). Vielmehr ist es Aufgabe, das Scheitern in seiner ganzen gesellschaftlichen Bedeutung auszuloten. Denn was nun anzuheben droht, ist „dummes Gerede überall“ (Jürgen Busche, SZ vom 11.7.).

In der Tat ist geboten ein Moment des „Innehaltens“ (Antje Vollmer), des nüchternen Bilanzierens:

Finanzpolitisch setzt Berti Vogts eindeutige Zeichen. Mit der entfallenen Finalteilnahme entfällt die Lustreise Helmut Kohls mit dem „Kanzler-Airbus“ (dpa) nach Los Angeles. Schon der Trip zum Eröffnungsspiel (Fachjargon: luxurious spending) war mit geschätzten 250.000 Mark zu Buche geschlagen. In Zeiten leerer Kassen ein Affront. Und doch weist dies übers Monetäre hinaus aufs Ästhetische. Wer Kohl in Chicago im verschwitzten Unterhemd auf der Tribüne sah, kann über sein Fehlen nur „sterbensglücklich“ (Roberto Baggio) sein.

Außenpolitisch ist das 1:2 gegen Bulgarien glänzend placiert. Genau zum Ende der G7 in Neapel signalisiert Deutschland Bescheidenheit: Wir wollen im Konzert der „Weltgemeinschaft“ (Clinton) nicht immer die erste Geige spielen, ja, wir überlassen im „Europäischen Haus“ (D. Genscher) Schweden und Italien das Penthouse und ziehen in den Souterrain.

Innenpolitisch erhält jedes nationale Schwelgen „in einer Nachfolgebundesrepublik des Dritten Reiches“ (Gerhard Zwerenz, taz vom 6.7.) einen Dämpfer. Es läßt sich überdies nicht leugnen, daß Bulgarien „profitierte von der verdrängten Einigungskrise“ (Hartung, Zeit vom 8.7.). Das Team von New York war ein rein westliches, es ist von der Italien-WM „einfach übriggeblieben“ (PDS-Slogan). Kein Sammer, kein Thom, kein Kirsten. Nichts ist zusammengewachsen, schon gar nicht „sind wir zusammen auf Jahre unschlagbar“ (Franz Beckenbauer 1990). Und schon gar nicht kann gelten, nun in „Selbstzufriedenheit in den Sessel“ (Hartung, dito) zu fallen.

Was aber ist das Gebot der Stunde? Die Mannschaft „noch ärger beschimpfen“ (Augstein, dito)? Die Völlers und Brehmes ins Seniorenheim schicken und es mit „Nachwuchs von neuen, von jungen Leuten“ (Augstein, dito) versuchen? Was aber wird im Herbst, wo schon Helmut Markwort im neuen Focus sagt: „Das verbindet Berti Vogts mit Helmut Kohl...“ Die Niederlage? Es wird dies keine leichte Zeit für Berti Vogts. Und sollte es zu arg kommen, ist hier schon einmal die Nummer des DAG-Telefons für „Mobbing-Opfer“ (Mittwoch 15–17 Uhr): 030-8296221. Herr Thömmes

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