Gott ist ein Bulgare! Allah ist ein Bulgare

■ Wie ein Fußballsieg ein vergessenes Balkanland einigt: Auch Türken feiern mit

Wien (taz) – „Seht, liebe Landsleute“, begann Staatspräsident Schelju Schelew seine Rede, „ohne Demokratie hätten unsere Jungs nicht zeigen können, daß sie zu den Großen des Weltfußball zählen“. Der politisch schwer angeschlagene Altdissident erkannte in der Nacht auf Dienstag die Gunst der Stunde, und wandte sich gleich nach dem 2:1 Sieg über die Deutsche Elf an sein Volk. „Wir haben Grund zu feiern“, fuhr Schelew in seiner spontanen Fernsehrede fort, „Gott ist ein Bulgare.“ Auf den Straßen der Hauptstadt Sofia waren derweil schon Hunderttausende zusammengeströmt, tanzend und singend feierten sie den Erfolg ihrer Nationalelf im fernen New York. Taxis hupten, Kneipenwirte schenkten freie Schnaps- Runden aus, Musiker spielten auf und immer wieder erklang neben alten Volksweisen und Revolutionsliedern die Nationalhymne „Gott ist ein Bulgare“.

Auch gestern soll diese nationale Euphorie im ganzen Lande angehalten haben. Erstmals in seinem Leben, berichtete zumindest ein Radioreporter aus der Schwarzmeer-Stadt Varna, habe er in den türkischen Dörfern dieser Region Menschen die Nationalhymne singen gehört, erstmals die Worte „Allah ist ein Bulgare“. Für Tage scheint nun der politische Streit zwischen den Bulgaren und der türkischen Minderheit, zwischen der Sozialistischen Opposition und der regierenden Union der Demokratischen Kräfte, zwischen Land- und Stadtbevölkerung beigelegt zu sein. Manche Kommentatoren sprachen sogar von „einem neuen politischen Aufbruch“ der den „legendären November“ in den Schatten stellen könnte, jene Tage 1989 als Hunderttausende das kommunistische Regime zu Fall brachten.

Denn vom großen Aufbruch ist in Bulgarien kaum mehr etwas zu bemerken. Ähnlich wie in Rumänien und Albanien kommt der wirtschaftliche Neubeginn nur schleppend voran. Weite Teile der Bevölkerung leben unter dem Existenzminimum, bei grassierender Arbeitslosigkeit und rapide steigenden Preisen sehnen sich manche in gewissen Sinne bereits nach den alten Zeiten zurück. Fünf Prozent der 8,5 Millionen Bulgaren haben vom Ende der KP-Diktatur wirtschaftlich profitiert, für 15 Prozent blieb die Situation unverändert, 80 Prozent leben bedeutend schlechter als vor vier Jahren.

Gerade die roten Parteibonzen von einst, sind die Geschäftemacher von heute, sie unterstützen aus alter Verbundenheit die gewandelten Kommunisten, seit Jahren stärkste Fraktion im Parlament Sofias. Da die demokratischen Kräfte im bürgerlichen Lager längst keine stabile Regierungsmehrheit mehr zustande bringen, löst seit Monaten ein Mißtrauensantrag den anderen ab. Schelew hat für den kommenden Herbst Neuwahlen gefordert, „um dem Parteienzank ein Ende zu setzen“.

Einen neuen Verbündeten sieht Schelew nun in seiner nationalen Fußballelf. Die Kicker seien es, so der Fußballfreund, „die Bulgarien den Weg in die freie Welt weisen“. Schelew erwartet sich von einem guten Abschneiden der WM- Mannschaft einen Aufschwung für den Fremdenverkehr und eine größere westliche Investitionsbereitschaft. Für ihn sei wichtig, daß der Name Bulgarien erstmals weltweit positive Schlagzeilen mache.

Für den gebrochenen Nationalstolz der Bulgaren sind die dringend nötig, werden doch die nationalen Minderheiten der Roma und Türken vor allem vom rechtsbürgerlichen Regierungslager für die verworrene politische Situation verantwortlich gemacht. Die ersten beherrschten die Mafia, suggerieren regierungsnahe Zeitungen, die zweiten träumten von einem großtürkischen Reich und versuchten das Land zu destabilisieren. Karl Gersuny