Peking droht Wassernotstand

Nordchina leidet unter einer der größten Dürren dieses Jahrhunderts / In den Großstädten wird zuviel Wasser verschwendet  ■ Aus Machangxiang Sheila Tefft

Während die Sommersonne die Berge in der Umgebung ausdörrt, teilen die Einwohner von Machangxiang ihre Tage nach der Ankunft des Wasserwagens ein. Viermal am Tage rumpelt ein Tankwagen mit Wasser durch das kleine Dorf südwestlich von Peking und verteilt zwei Eimer voll an jeden Haushalt. Dann beginnt das Waschen, Wässern und Kochen, bis der Vorrat aufgebraucht ist und das Warten auf den nächsten Wasserwagen beginnt. „Wenn wir mehr als zwei Eimer nehmen, bekommen andere Leute gar nichts“, sagt Zhao Chun und berichtet, daß einige der 2.000 Dörfler manchmal Wasser mit Eseln von dem mehr als 16 Kilometer entfernten Fluß holen.

Auch über 100.000 Einwohner der chinesischen Hauptstadt haben bei hohen Temperaturen und der heftigsten Dürre dieses Jahrhunderts mit dem täglichen Wassermangel zu kämpfen. Obwohl die Regenzeit schon zur Hälfte vorüber ist, haben viele Städte und Landgebiete in Nordchina noch kaum einen Tropfen von den jährlichen Regenfällen gesehen, die im Durchschnitt etwa 600 Millimeter betragen. Bereits im letzten Jahr waren die Niederschläge um ein Drittel gesunken.

Der Wassermangel zehrt langsam die Reserven in den Seen von Guanging und Miyun auf, den beiden wichtigsten Wasserspeichern von Peking. Sie weiesen nur noch drei Viertel ihres Durchschnittsstands in den achtziger Jahren auf, und auch das Grundwasser in der Stadt ist um mehr als einen Meter abgesunken, wissen die chinesischen Zeitungen zu berichten. „Die Hauptstadt steht kurz vor dem Wassernotstand und sieht aufgrund des anhaltenden trockenen Wetters Schwierigkeiten bei der weiteren wirtschaftlichen Entwicklung voraus“, wurde Teng Bhutang von der Wasserbehörde in Peking im offiziellen China Daily zitiert.

„Die Wasservorräte werden in den nächsten Jahren aufgebraucht sein, wenn bei der anhaltenden sengenden Hitze keine wirksamen wassersparenden Maßnahmen eingeleitet werden“, warnt der Wasserfachmann, „Peking stünde vor dem Stillstand.“ Der sechzig- bis neunzigprozentige Rückgang der Regenfälle, der die Städte Peking und Tianjin und die Provinzen Hobei, Shanxi, Shaanxi, Gansu und Ghandong betrifft, bedroht auch die Sommerweizenernte, wie Dürre-Experten der Regierung berichten. Und die Wasserkrise, die auch Guangdong, Sichuan und andere Teile Südchinas nach der schlimmsten Dürre seit 25 Jahren getroffen hat, führte zu Notstandsmaßnahmen und könnte in vielen Städten vor Ende des Sommers sogar Rationierungsmaßnahmen auslösen, haben Regierungsvertreter angekündigt.

„In Zentren mit einer großen und wachsenden Bevölkerung und knappen Wasserversorgung wie Peking stehen die verantwortlichen Funktionäre vor großen Problemen“, sagt Daniel Beard vom US-Bureau of Reclamation, der Behörde für Probleme der Wiedergewinnung. Er hat Peking vor kurzem besucht und die Probleme in Nordchina mit denen des amerikanischen Südwestens verglichen.

Die Wasserknappheit wird vermutlich noch schlimmer werden. Nach dem Magazin Outlook Weekly, das von der offiziellen Nachrichtenagentur Neues China veröffentlicht wird, dürfte Nordchinas derzeitiges Wasserdefizit von über zehn Milliarden Kubikmeter jährlich innerhalb der nächsten 25 Jahre auf gut 40 Milliarden Kubikmeter anwachsen.

Obwohl die Maßnahmen zum Wassersparen in diesem vorherrschend landwirtschaftlich geprägten Land sich seit Jahren auf die Landwirtschaft konzentrierten, haben die Wirtschaftsreformen die Aufmerksamkeit auch auf die Bedürfnisse der Industrie und der Städte gelenkt, um das schnelle Wirtschaftswachstum beibehalten zu können.

Mehr als die Hälfte der 570 chinesischen Städte kämpft mit Wassermangel. Besonders im Norden, wo über die Hälfte der kultivierten Flächen des Landes liegen, aber nur 15 Prozent des Wassers zur Verfügung stehen, ist die Situation kritisch.

Der Mangel trifft akut auch 80 Millionen Bauern, die Wasser für ihre Familien, für ihr Vieh und ihre Ernten brauchen. Im letzten Monat warnten die Behörden die Bauern im Norden, die mit der Dürre zu kämpfen hatten, daß die üblichen schweren Regenfälle im Juni diesmal heftiger ausfallen und bedrohliche Überschwemmungen auslösen könnten. Baumwolle, Weizen und Reis stehen außerdem vor einer Bedrohung durch Pflanzenkrankheiten und Schädlinge, berichtet die Nachrichtenagentur Neues China.

Aus Furcht, die Verluste durch Überschwemmungen könnten die Unzufriedenheit auf dem Land weiter schüren, haben Regierungsvertreter die lokalen Verwaltungen aufgefordert, die unzureichenden Maßnahmen der Hochwasserkontrolle zu verbessern. Chen Junsheng, ein Regierungsvertreter, der mit Wasserfragen befaßt ist, drängte die lokalen Funktionäre, sich auf „die Wahrung der sozialen Stabilität, insbesondere auf die Reduzierung des Verlustes von Menschenleben aufgrund natürlicher Katastrophen“ zu konzentrieren. Aber westliche Beobachter glauben, daß China, wenn es seine Wasserkrise überleben will, den Umgang mit seinen Wasservorräten radikal reformieren müsse. Und auch die People's Daily, das offizielle Organ der Kommunistischen Partei, schätzt, daß das Land bis zum Ende des Jahrhunderts über 20 Milliarden US-Dollar in Wassersparmaßnahmen investieren muß.

Die Städte stecken in einem Teufelskreis zwischen Wassermangel und Verschwendung, einer Folge des traditionell niedrigen Wasserpreises. In Peking beispielsweise zahlen die Einwohner nur vier US-Cents pro metrische Tonne Leitungswasser, während die Kosten der Versorgung für die Stadt mehr als doppelt so hoch liegen. Kürzlich berichtete die offizielle China Daily, undichte Toiletten seien für die Wasserverluste mitverantwortlich und verschwendeten jährlich 200 Millionen Kubikmeter Wasser. Die Regierung drängt auf Verwendung von Geräten, die von nur zehn chinesischen Firmen hergestellt werden, und hat sogar einen Ausschuß für undichte Toiletten eingerichtet. Auch die chinesische Industrie hat lange Zeit Wasser verschwendet und nur fünfzig Prozent des Wassers wiederverwendet und bis zu zehnmal mehr Wasser für die Produktion einer Tonne Stahl verbraucht als in entwickelten Ländern.

Die Landwirtschaft ist der größte Wasserverschwender; die Bewässerung von Ackerland nimmt 80 Prozent des chinesischen Gesamtverbrauchs in Anspruch. Längst überkommene Bewässerungsmethoden und undichte Kanäle führen jedoch auch dort zu riesigen Verlusten. In einigen Gebieten drängen die Funktionäre bereits auf die Verwendung von wassersparenden Sprühbewässerungssystemen. Um Peking, wo zwei Drittel des Wassers in der Landwirtschaft verbraucht werden, sollen bis zum Ende des Jahrzehnts Sprinkler- und Tropfenbewässerung obligatorisch vorgeschrieben werden.

Doch das reicht freilich für den gestiegenen Wasserbedarf nicht aus. Die einzige langfristige Lösung, so die Regierung, bestehe deshalb in der Umleitung von Ressourcen aus dem wasserreichen Süden in den trockenen Norden. Funktionäre hoffen auf den Bau eines Kanals vom Yangtze im Süden mit einer Länge von 800 Meilen, der fünf Milliarden US-Dollar kosten und die Knappheit in Peking, Tianjin und anderen industriellen Schlüsselzentren des Nordens lindern soll. Das Projekt, dessen Bauzeit auf etwa zehn Jahre geschätzt wird, könnte jährlich mehr als 14 Milliarden Kubikmeter Wasser befördern. Aber die Funktionäre streiten sich noch über die Route, und Experten behaupten, das Projekt werde Chinas finanzielle und Elektrizitäts-Ressourcen übersteigen.

Das US-Bureau of Reclamation plant die Entsendung eines Expertenteams, um über mögliche technische Hilfe für das Projekt zu diskutieren – obwohl Daniel Beard sagt, es sei noch gar nicht klar, ob das chinesische Projekt überhaupt durchführbar sei. „Das schwierigste überhaupt auf dem Bereich der Wasserversorgung ist der Transfer zwischen verschiedenen Einzugsgebieten. Diese Frage ist immer auch politisch belastet, und wenn Probleme überhaupt nur möglich sind, dann treten sie auch auf“, sagt er. „In den letzten zwanzig Jahren ist kein Transfer zwischen verschiedenen Einzugsgebieten ohne Schwierigkeiten verlaufen.“