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Ist es ein ehrenrühriges Werturteil, jemanden „Rassist“ zu nennen?

■ Die CSU fühlt sich durch Plakate mit dem Titel „Rassismus hat viele Gesichter“ verleumdet und hat Strafanzeige gestellt

Nürnberg (taz) – „Rassismus hat viele Gesichter.“ Der Slogan ist in Nürnberg vereinzelt an Häuserwände gesprüht, ein paar der vom Europawahlkampf übriggebliebenen CSU-Plakate sind damit übermalt. Die eigentlichen Plakate, von denen dieser Satz stammt, kleben jedoch nur noch illegal. Denn Bayerns Innenminister Günther Beckstein hatte es sichtlich empört, daß da jemand versucht, innerhalb der CSU rassistische Strukturen aufzuzeigen. Eilfertig ordnete die Staatsanwaltschaft Nürnberg die Beschlagnahme der Druckwerke an, flugs wurden die Plakate von der Nürnberger Stadtreklame überklebt. Jetzt müssen die Gerichte klären, ob das ablehnende Verhalten eines CSU-Landtagsabgeordneten zu einem Flüchtlingswohnheim als „rassistisch“ bezeichnet werden darf und ob der Begriff „Rassist“ ein „ehrenrühriges Werturteil“ oder lediglich ein „politisches Klassifizierungsmerkmal“ ist.

„Rassismus hat viele Gesichter“ ist ein Plakat aus einer Reihe von insgesamt sechs Druckwerken. Die anderen fünf tragen den Titel „Faschismus hat viele Gesichter“ und behandeln Ideologie und Aktivitäten der „Republikaner“, der NPD, der militanten Neonazi- und der Skinhead-Szene. Unterstützt wurde die Plakatserie von den Jusos, den Nürnberger Grünen, dem Ausländerbeirat, dem städtischen Jugendzentrum KOMM und einer Vielzahl antifaschistischer Gruppierungen.

Da Rassismus aus der Mitte der Gesellschaft kommt, war für die Initiatoren klar, daß auch diejenigen, die „das Klima für die rassistischen Akteure bereiten“, in die Plakataktion einbezogen werden. Also erinnerten sie sich an den Ausspruch des bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber von der „durchraßten und durchmischten Gesellschaft“, an Max Streibls Plausch mit „Republikaner“-Chef Franz Schönhuber, an die Ankündigung des CSU-Chefs Theo Waigel, die Wahlen 1994 würden „mit Themen rechts von der Mitte gewonnen“, und an die Äußerung des CSU-Landesgruppenchefs im Bundestag, Michael Glos, vier Tage vor dem Mordanschlag in Solingen, daß bezüglich der Flüchtlinge „für unsere Bevölkerung die Schmerzgrenze schon seit langem überschritten“ sei. Neben Konterfeis und Zitaten informiert ein weiterer Plakatabschnitt über Verbindungen von CSU- Mandatsträgern zu rechtsextremen Gruppierungen. Unten links wird das Engagement des Landtagskandidaten Markus Söder gegen ein Flüchtlingswohnheim im Nürnberger Stadtteil St. Leonhard dokumentiert.

Eben dieser Söder, der sich gern als jüngster Landtagskandidat der CSU feiern läßt, wurde von seinen Parteioberen vorgeschickt, um mit einer Strafanzeige gegen das Plakat vorzugehen. Zuvor hatte Bayerns Innenminister Günther Beckstein die Plakate als „gemeine Verleumdung“ bezeichnet und die SPD-Landesvorsitzende Renate Schmidt aufgefordert, sich von den Jungsozialisten zu distanzieren. Der SPD-Spitzenfrau fehle es an „moralischer Kompetenz“, da sie es zulasse, daß die Jusos „gemeinsame Sache mit extremistischen Organisationen“ machten. Auch der Nürnberger Oberbürgermeister sollte einschreiten, da ja sowohl das KOMM als auch das mit städtischen Mitteln finanzierte antifaschistische Archiv „Abidoz“ das Plakat ideell und finanziell unterstützt hätten. „Ein übler Fall der Veruntreuung von Steuergeldern“, so Beckstein.

Während die Spitzenkandidatin für die kommenden Landtagswahlen in Bayern, Renate Schmidt, den schäumenden CSU-Politikern empfahl, sie sollten sich von den rassistischen Äußerungen in ihren eigenen Reihen distanzieren, reagierte Oberbürgermeister Peter Schönlein wunschgemäß. Er verbot dem mit städtischen Geldern ausgestatteten Ausländerbeirat, das Plakat mitzufinanzieren. Und der Kulturausschuß strich kurzerhand mit den Stimmen von CSU und SPD dem Archiv Abidoz die für 1994 in Aussicht gestellten Mittel.

Auch Richterin Schwarz vom Nürnberger Amtsgericht wollte den Wählern das Plakat nicht zumuten. Mit dem Druckwerk werde „zum Ausdruck gebracht, daß Söder ein Rassist“ sei, und dieses Werturteil sei „ehrenrührig“. Deshalb sei das Druckwerk einzuziehen. Die Initiatoren des Plakats legten dagegen Beschwerde ein, in der Hoffnung, es werde „ja wohl kaum eine justitielle Wahlkampfhilfe für die bayerische Regierungspartei der Impetus für den Beschluß“ des Amtsgerichts gewesen sein. Dem „verständigen Betrachter“, und auf den komme es bei der Beurteilung einer Äußerung als Beleidigung an, sei klar, daß es ein breites Spektrum der Erscheinungsformen des Rassismus gebe, angefangen bei den Warnungen vor zu hohen Asylantenzahlen und einer damit überschrittenen Schmerzgrenze, bis hin zum Holocaust, argumentierte Rechtsanwalt Ingo Schmitt-Reinholtz. „Wenn es CSU-Mitglieder für vernünftig halten, rassistische Einstellungen im politischen Meinungskampf zu äußern, dann darf es wohl auch erlaubt sein, diese Einstellungen als das zu bezeichnen, was sie in der politischen Fachsprache sind.“

Die Gerichte schieben die Entscheidung auf die lange Bank, voraussichtlich bis nach den Landtagswahlen Ende September. Markus Söder hat damit erreicht, was er wollte: die Plakate sind aus dem Verkehr gezogen. Während sich die CSU bei den Plakaten pikiert zeigt, gewinnt gerade ihr Wahlkampf in Bayern zusehends an Schärfe. Theo Waigel wirft der SPD „Volksfront-Strategie“ vor, Stoiber nennt die Liberalen „Geldsäcke“, und Peter Gauweiler, der geschaßte Umweltminister und CSU-Chef von München, begrüßte Journalisten bei einem Trachtenfest mit einem flotten „Pfüat euch Gott, Arschlöcher!“ Bernd Siegler

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