piwik no script img

Bill genießt des Chancellors Führung

■ Gestern in Bonn hielt sich US-Präsident Clinton noch zurück – „Deutschland über allen Partnern“ wird er wohl erst heute vorm Brandenburger Tor verkünden

Bonn (taz) – Das Land, das nach dem Willen des US-Präsidenten künftig sein Gewicht in der Weltpolitik stärker zur Geltung bringen soll, ist nicht jedem White-House- Correspondent vertraut. Das Bundespresseamt hilft gerne nach. Vor dem Termin mit Clinton und Kohl im Garten des Bundeskanzleramts studieren die amerikanischen Journalisten die background notes on Germany. Wo liegt das Land bloß? Ein dicker schwarzer Pfeil auf der Weltkarte weist den Weg zum Standort Deutschland.

Künftige Aufgaben des Juniorpartners auf dem Globus umschrieb der US-Präsident gestern am ersten Arbeitstag seines Besuchs mit freundlichen Floskeln. Vor seiner Abreise war er deutlicher geworden und hatte erklärt, einer führenden Rolle in der Weltpolitik könne sich Deutschland in Zukunft gar nicht entziehen.

In Bonn beschränkte sich Clinton darauf, die Führungsrolle Deutschlands bei der weiteren Einigung Europas und dem Aufbau des ehemaligen Ostblocks zu loben – von globaler leadership war öffentlich nicht die Rede. Zwar bezeichnete der Präsident vor den Journalisten die Beziehung seines Landes zur Bundesrepublik in den vergangenen Jahrzehnten als „wahrhaft einzigartig“. Über die zu anderen europäischen Partnern aber wollte er sie nicht stellen. Möglicher Grund der Zurückhaltung: Eine programmatische und schon zuvor als „historisch“ angepriesene Rede will Clinton erst heute in Berlin halten – vor dem Brandenburger Tor.

Gastgeber Helmut Kohl verwies auf das heutige Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr. Er bezeichnete es aber als mit der „Würde Deutschlands“ unvereinbar, daß die Bundesrepublik zwar ihre Rechte aus der UN-Mitgliedschaft in Anspruch nehme, ihren Pflichten aber nicht nachkomme. Zur Karlsruher Entscheidung sagte Clinton: „Wir hoffen, daß wir bald in den Genuß der vollen deutschen Führungsfähigkeit kommen.“

Daß Kohl den Gast penetrant mit „Bill“ anredete und duzte, fiel um so mehr auf, als Clinton gar nicht intim vom „Chancellor Kohl“ sprach. Dem Image des CDU-Wahlkämpfers wird der Auftritt im Garten des Kanzleramts trotzdem ebenso gutgetan haben wie der Abstecher des US-Präsidenten nach Oggersheim. Dort wollte Kohl dem Ehepaar Clinton gestern demonstrieren, wie Führer einer kommenden Großmacht wohnen.

Ob das auch die amerikanischen Journalisten beeindruckt? Die fragten Clinton gestern mehr nach den US-koreanischen als nach den US-deutschen Beziehungen. Hans Monath

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen