Rußlands Mann in der Ukraine

■ Leonid Kutschma, der neue Präsident der Ukraine, steuert einen prorussischen Kurs

Kiew/Berlin (taz) – Die Entscheidung war knapp, und sie kam überraschend. Der neue Präsident der Ukraine heißt Leonid Kutschma. Mit rund 51 Prozent der Stimmen schlug er den bisherigen Amtsinhaber Leonid Krawtschuk, der 45 Prozent erhielt. Bei der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen vor zwei Wochen hatte Krawtschuk dagegen noch einen Vorsprung von mehr als sechs Prozent vor seinem Herausforderer gehabt.

Zum Wahlsieg Kutschmas scheinen vor allem zwei Faktoren beigetragen zu haben: Zum einen gelang es ihm, die Anhänger der linken Parteien, die bei der ersten Runde für ihren Kandidaten gestimmt hatten, hinter sich zu bringen. Zum anderen war er in einigen Wahlkreisen der Zentralukraine erfolgreich, in denen zuvor Krawtschuk und ein reformorientierter Kandidat vorn lagen. Die Anhänger schneller Wirtschaftsreformen dürften für den 55jährigen Ex-Premier gestimmt haben, da sich dieser in den kurzen Monaten seiner Amtszeit 1993, die dann von den Kommunisten beendet wurde, für ein Privatisierungsprogramm und den Kampf gegen die Korruption eingesetzt hatte. Ebenso wie bei der ersten Runde lagen die Hochburgen Kutschmas in der Ost- und Südukraine, Krawtschuk wiederholte seine hohen Ergebnisse im Westen. Die Wahlbeteiligung lag bei 69,3 Prozent.

Der neue ukrainische Präsident wurde einst von den Kommunisten entmachtet und wird jetzt von den Kommunisten unterstützt. Daran wird deutlich: Die Machtgruppierungen in der Ukraine ändern sich ständig. Und so spielte auch das konkrete Wirtschaftsprogramm Kutschmas im Wahlkampf keine Rolle. Statt dessen war die Frage „Wie hältst du es mit Rußland?“ entscheidend, und hier sprach sich der ehemalige Direktor der größten Raketenfabrik der UdSSR für eine engere Anbindung an den mächtigen Nachbarn aus. Außer dem Schlagwort gemeinsame „Freihandelszone“ war aber auch hier wenig Eindeutiges zu hören. Und auch wenn die Bewohner der Krim zu 92 Prozent für Kutschma stimmten, bedeutet das nicht, daß dieser sich nun für die Selbständigkeit der Halbinsel einsetzen wird. Auch hier sind die Kommunisten vor: Bei den letzten Abstimmungen im Kiewer Parlament stimmten sie stets gegen die Beschlüsse Sewastopols.

Dem Westen warf Kutschma am Wahlsonntag vor, sich mit den Millionenhilfszusagen der letzten Wochen zu sehr für Krawtschuk engagiert zu haben. Sowohl für die nukleare als auch für die „zivile“ Abrüstung, die Stillegung des AKWS in Tschernobyl, forderte er noch umfassendere Hilfsleistungen als sein Vorgänger.

Im benachbarten Weißrußland fiel die Wahlentscheidung sehr viel deutlicher aus. Erster Präsident des Landes wird der 39jährige Aleksander Lukaschenko, er gewann bei einer Wahlbeteiligung von 70 Prozent 80 Prozent der Stimmen. Sein Gegenspieler, Ministerpräsident Wjatscheslaw Kebitsch, kam auf nur 14 Prozent und erklärte bereits am Montag seinen Rücktritt. Ähnlich wie Kutschma galt auch Lukaschenko als prorussischer Kandidat, noch zu Beginn des Wahlkampfes war er sogar für einen Anschluß Weißrußlands eingetreten. Später äußerte er sich vorsichtiger. Entscheidend für seinen Wahlerfolg dürfte seine Kampagne gegen Korruption gewesen sein, mit der er die Stimmung der Bevölkerung am besten traf.

Sabine Herre Seiten 8, 10 und 11