Der Draht zum Rat

■ Des einen Freud', des andern Leid: Heute gibt es Zeugnisse / Schulsenator rät Eltern zur Rückbesinnung auf eigene Noten

Für die rund 400.000 Berliner SchülerInnen ist heute entweder ein Tag der großen Freude oder Weltuntergangsstimmung angesagt: Es gibt Zeugnisse. Während die mit den guten Noten ihre Schultasche in die Ecke knallen und in den Urlaub fahren, trauen sich viele mit schlechten Zensuren aus Angst vor ihren Eltern nicht nach Hause. Die PsychologInnen der Notdienste und Sorgentelefone von den Bezirksämtern haben die Hand zwar schon am Hörer, mit einem drastischen Ansturm rechnen sie allerdings nicht.

In der Senatsverwaltung für Schule, Berufsbildung und Sport, wo für den heutigen Tag extra Sorgentelefone eingerichtet worden sind, erwartet man nicht, daß der Draht zum Rat heißlaufen wird. „Pro Berater“, so Oberschulrätin Gerlind Mayer, zuständig für das Senatssorgentelefon für Realschulen, „rufen immer so etwa zehn bis zwanzig Ratsuchende an.“ Und es seien auch mehr Eltern oder Großeltern, die sich nicht erklären können, woher die schlechten Noten kommen, als verzweifelte SchülerInnen, die „sich nicht nach Hause trauen“. Einen wirklich dramatischen Fall habe sie selbst noch nicht erlebt, und Eltern stellen eher Fragen „rechtlicher Natur“. Und die erste Anlaufstelle sei eben doch die Schule oder der Bezirk.

Aber auch bei den sozialpsychologischen Diensten der Bezirke wird heute nicht mit mehr Betrieb als an anderen Tagen gerechnet. Ute Leyßner, Leiterin des sozialpsychologischen Dienstes in Charlottenburg: „Viele SchülerInnen kommen schon vor der Zeugnisvergabe und suchen Rat.“ Denn schließlich wüßten sie und ihre Eltern schon vorher über die Noten Bescheid. Den Schwerpunkt ihrer Arbeit sieht sie deshalb auch eher in der „Prävention“. Helfen, schon bevor die große Verzweiflung kommt.

Und auch bei den freien Jugendhilfeträgern erwartet man keine Massenhysterie am Tag der Zeugnisvergabe. „Aber manche stehen dann doch weinend vor der Tür und trauen sich nicht nach Hause“, sagt Petra Janke, Diplompsychologin von NEUhland. Aus Angst vor Bestrafung und Gewalt zu Hause würden sie sich lieber auf der Straße herumtreiben. Und manchmal „muß man schon auch Angst haben, daß sie sich was antun“. Den Grund für die Angst der SchülerInnen sieht sie in zu großen Leistungserwartungen der Eltern. Oft versteckten sich hinter Schulproblemen aber auch ganz andere Sorgen.

Schulsenator Jürgen Klemann (CDU) zumindest appelliert an die Eltern, ihre Zöglinge nicht wegen schlechter Zensuren zu bestrafen, sondern Milde walten zu lassen und an die Zeit zurückzudenken, als sie selber noch arme Schulkinder waren. Patricia Pantel