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Amerikaner gegen Mickey Mouse Von Andrea Böhm

Nirgendwo ist das Leben schöner als im Vergnügungspark. Der erste, der das begriff und prompt Millionen damit verdiente, war Walt Disney. Er bescherte seinen Landsleuten Disney Land in Kalifornien und Disney World in Florida. Dort regieren die Mickey- Mäuse seit Jahrzehnten schon eine Welt aus Plastik, Illusionen und Junk food. Die Reiseführer empfehlen dringendst, sich mindestens 36 Stunden Zeit zu nehmen, damit man auch ja keinen Gag und keinen Goofy verpaßt.

Nach den bekanntermaßen zurückhaltenden Reaktionen der Europäer auf das „Don't Worry, Be Happy“-Reservat in Frankreich hat Disney-Chef Michael Eisner nun wieder seine eigenen Landsleute im Visier: Im US-Bundesstaat Virginia will er auf geschichtsträchtigem Boden für 650 Millionen Dollar einen Vergnügungspark mit eingebauter Volksbildung hochziehen. Vor rund 130 Jahren fand hier eine der berühmtesten Schlachten des Bürgerkrieges statt. Unbescheiden, wie er nun mal ist, will Eisner hier nicht Amerikas Disneyland Nummer drei aufbauen, sondern Disney's America: Hereinspaziert, meine Damen und Herren, hier gibt's Geschichte zum Anfassen, weichgekocht und verpackt für den Comic- und Video-Konsumenten. Ein bißchen Bürgerkrieg mit Mickey Mouse, Donald Duck führt durch den Sklavenmarkt, ein paar edle Wilde aus der Zeit der Indianerkriege springen frei herum – und dann geht's ab mit dem Hochgeschwindigkeitszug durch die industrielle Revolution. Is this a great country, or what... Fehlt nur noch die Abteilung für den Vietnamkrieg. Einmal mit Minnie Mouse Ho Chi Minh fangen. Wer's schafft, kriegt einen Superburger gratis.

Daß sich mit Hilfe der Institution Vergnügungspark komplexe Sachverhalte recht nett und einfach darstellen lassen, hat unlängst auch die chinesische Regierung begriffen und in Florida für 100 Millionen Dollar einen „Themepark“ mit dem klangvollen Titel Splendid China errichtet. Der Potala-Palast in Tibet ist im „Wunderbaren China“ als Touristenattraktion maßstabsgetreu nachgebaut. Doch das einzige, was fehlt, sind nicht nur die tibetanischen Mönche, sondern auch jegliche Erwähnung der chinesischen Okkupation.

Aber, oh Wunder, im Fall von Disney's America regt sich Widerstand. Zumindest in Virginia ist Eisner mit seiner Truppe aus Entenhausen umstritten. Umweltschützer befürchten, daß der Vergnügungspark bei 30.000 prognostizierten Besuchern pro Tag in eine Müllhalde aus Styroporbechern, Ketchuptütchen und Coladosen, eingehüllt in eine Autoabgaswolke, verwandelt wird. Virginias Hautevolee, darunter einige VIPs aus Hollywood und Washington, fürchtet um die Ruhe und Abgeschiedenheit für ihre Reitturniere und Fuchsjagden. Und die Farmer und Einwohner in den benachbarten Dörfern wollen ganz einfach kein Disneyopolis vor der Haustür.

Also gibt es jetzt wohl zum ersten Mal in der US-Geschichte eine kleine, aber lautstarke Bürgerbewegung gegen das neben Coca-Cola bekannteste Kulturgut. Für den kommenden Herbst ist ein „Stop Mickey“-Marsch auf Washington D.C. und ein landesweiter Boykott von Produkten des Disney-Konzerns geplant. Ob's klappt? Dann werden wir sehen, wem zuerst die Ohren abfallen.

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