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Bundesverfassungsgericht: Kampfeinsätze der Bundeswehr außerhalb des Nato-Territoriums zulässig / Die einfache Mehrheit des Bundestags genügt zur Entsendung ins Ausland ■ Aus Karlsruhe Hans Monath
Das Grundgesetz hat sich der Außenpolitik der Bundesregierung angepaßt, und die Hüter der Verfassung geben ihren Segen dazu. „Die Anträge werden ... verworfen ... im übrigen werden die Anträge zurückgewiesen.“ Der Tenor, den die Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, Jutta Limbach, gestern in Karlsruhe vortrug, setzt Verteidigungsminister Rühe und all seine Vorbereitungen für den Aufbau weltweit einsetzbarer „Krisenreaktionskräfte“ der Bundeswehr ins Recht. Das oberste Bundesgericht erlaubt Kampfeinsätze deutscher Soldaten unter UN-Mandat künftig auch in Ruanda oder in anderen Krisenregionen.
Die Kläger von der SPD- und FDP-Bundestagsfraktion, Außenminister Kinkel und Verteidigungsminister Rühe als Antragsgegner, sowie hohe Beamte und Militärs hörten zu, als die Richter eindreiviertel Stunden lang ihre Unbedenklichkeitserklärung begründeten. Auf der ganzen Linie hat die Bundesregierung nicht gesiegt. Das Kabinett, so urteilten die Richter, hat die Rechte des Bundestags verletzt. Die Bundesregierung hätte die Zustimmung des Parlaments einholen müssen, bevor sie deutsche Soldaten nach Somalia (Unosom II), an die Adria (Embargosicherung durch Kriegsschiffe) und in den Luftraum über Ex-Jugoslawien (Awacs-Luftraumüberwachung) schickte.
Im Wechsel verlasen die anwesenden zwei Richterinnen und fünf Richter des zweiten Senats die 142 Seiten umfassende Urteilsbegründung. Sie diskutierten Fragen wie die nach dem Unterschied verschiedener Befehlsgewalten bei internationalen Missionen, spürten den Absichten der Verfassungsväter in der Entstehungsphase der Bundesrepublik nach und bemühten sich um die Deutung der Parlamentsrechte gegenüber der Regierung.
Die wichtigste rechtliche Klärung betrifft das Verhältnis, in dem die Aussagen des Grundgesetzes zur Landesverteidigung (Artikel 87 a) zu jenen über die Einbindung in ein System kollektiver Sicherheit (Artikel 24) und die Verpflichtungen aus dieser Bindung stehen. „Außer zur Verteidigung“, so heißt es in Artikel 87, „dürfen Streitkräfte nur eingesetzt werden, sowie dieses Grundgesetz es ausdrücklich zuläßt“. Mit diesem Satz hatten bis zum Golfkrieg alle Bundesregierungen einen Einsatz deutscher Soldaten außerhalb des Nato-Gebietes abgelehnt.
Das Gericht folgte der neuen Interpretation, wonach deutsche Soldaten in UN-Auftrag nicht nur Nato-Territorium verteidigen dürfen. Begründet wird das unter anderem mit dem Argument, der Bundestag habe zu den jetzt strittigen Einsätzen grundsätzlich seine Zustimmung gegeben, als er für den Beitritt zur Nato und zu den Vereinten Nationen votierte.
Der Somaliaausflug war von der Bundesregierung ausdrücklich als „humanitäre Aktion“ definiert worden. Solche sprachliche Delikatesse wird künftig nicht mehr verlangt, denn die Karlsruher billigen auch Kampfeinsätze. Der Grund: „Eine unterschiedliche Behandlung der verschiedenen Einsatzformen von Friedenstruppen verbietet sich, weil die Grenze zwischen den traditionellen Blauhelmeinsätzen und solchen mit der Befugnis zu bewaffneten Sicherungsmaßnahmen in der Realität fließend geworden sind.“
Die Kläger von FDP und SPD, die eine Verfassungsänderung für nötig hielten, haben insofern einen Teilerfolg errungen, als der Bundestag dem Einsatz bewaffneter Streitkräfte zustimmen muß – und zwar muß er, wie die Richter ausdrücklich festschreiben, vor einem Einsatz entscheiden. Nichts zu melden haben die Abgeordneten allerdings bei der Regelung der Einzelheiten. Wie viele Bundeswehrsoldaten fahren, wie lange die Aktion dauert, wie sich die Bundeswehr mit den Befehlshabern oder Streitkräften internationaler Organisationen abstimmt, daß alles entscheidet einzig und allein das Kabinett.
Die Hälfte der acht Richterinnen und Richter ließ sich von den Argumenten der Kläger überzeugen: Sie sehen in der weitgehenden Interpretation des Nato-Gründungsvertrages durch die Bundesregierung eine Aushöhlung der Parlamentsrechte: Als sie damals zustimmten, hätten die Bundestagsabgeordneten die heutige Entwicklung nicht vorhersehen und folglich auch nicht billigen können. Der Bundestag hätte nach Meinung dieser vier Richter neue gesetzliche Grundlagen für die Militäreinsätze schaffen müssen. Da vier Richterkollegen anderer Meinung waren, obsiegte auch in dieser Frage die Bundesregierung: Bei Stimmengleichheit kann das Gericht keinen Verfassungsverstoß feststellen.
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