„Ich bin in großer Gefahr“

■ Taslima Nasrin, auf die seit September 1993 ein Kopfgeld ausgesetzt ist, lebt seit fünf Wochen im Untergrund

Seit dem 5. Juni muß die 32jährige Schriftstellerin Taslima Nasrin aus Bangladesch sich in ihrer Heimat vor ihren Verfolgern verstecken. Sie war schon seit vergangenem Herbst in akuter Lebensgefahr, als eine militante islamistische Splittergruppe ein Kopfgeld von 1.250 Dollar auf sie ausgesetzt hatte. Seitdem war es regelmäßig zu wütenden Kundgebungen fundamentalistischer Gläubiger gekommen, die ihren Kopf forderten. Ein Interview mit der indischen Zeitung The Statesmen, in dem Nasrin zu erkennen gab, daß sie auch unter Druck nicht von ihrer scharfen Kritik am Islam ablassen werde, bot den Behörden den Vorwand für einen Haftbefehl wegen „Blasphemie“: Erneut hatte die Autorin eine Revision des Koran gefordert. Daß sie die Scharia, das islamische Recht, für frauenfeindlich hält, hatte Nasrin allerdings nie verhehlt. Als Kolumnistin, aber auch in ihren Gedichten und Erzählungen hatte sie seit Jahren für die Rechte der Frau gestritten. Im letzten Jahr war ihr Roman „Lajja“ (Schande) verboten worden, der das Schicksal einer hinduistischen Familie während der Zerstörung der Moschee im indischen Ayodhya im Dezember 1992 schildert. Nasrin hatte beschrieben, wie muslimische Männer aus Bangladesch aus Rache für die Zerstörung des Gotteshauses hinduistische Frauen vergewaltigen.

Am 1. Juli schickte Taslima Nasrin einen verzweifelten Appel aus ihrem Versteck. Auf ihrem Fax an eine Gruppe französischer Feministinnen hieß es: „Ich bin in großer Gefahr. Die Fundamentalisten können mich jederzeit töten. Bitte rettet mich.“ Nasrin gab gleichzietig dem internationalen PEN Club zu verstehen, daß sie um politisches Asyl in den Vereinigten Staaten bittet. Die USA, Norwegen und die Unesco ragierten darauf mit Appellen an die Regierung von Bangladesch, die Sicherheit der Autorin zu garantieren. Die Behörden in Dhaka forderten dagegen die ausländischen Diplomaten auf, sie über Nasrins Verbleib in Kenntnis zu setzen. Die Regierung steht unter starkem Druck religiöser Extremisten, die Autorin sofort zu verhaften. Jörg Lau