: Selektion statt Sozialhilfe
■ Statt finanzieller Hilfen gibt's jetzt Berufsschul-Sonderprogramme für junge Ausländer / GAL: „Bildungspolitische Apartheit“ Von Sannah Koch
Ein „echter Sündenfall“ ist es für Rolf Deutschmann. Die Ausgrenzung junger AusländerInnen aus Hamburgs Berufsvorbereitungsklassen (BVK) grenze fast an Apartheit, erklärte der Personalratsvorsitzende berufsbildender Schulen gestern bei einer GAL-Pressekonferenz. Mit ihrer Abstimmung in der heutigen Bürgerschaftssitzung würden die Abgeordneten Berufsschulen zum verlängerten Arm der Ausländerbehörde degradieren.
Wenn das Parlament heute abend den GAL-Antrag abgelehnt und dem Bericht des Sozialausschusses zugestimmt hat, wird sich für Jugendliche ohne gesicherten Aufenthaltsstatus in Hamburg einiges ändern. Eine Schule mit beruflicher Grundbildung können sie ab September nicht mehr besuchen, denn sie werden dann keinerlei finanzielle Unterstützung mehr bekommen.
Seit jeher hatten junge AusländerInnen in der Hansestadt während ihres Berufsschulbesuchs Sozialhilfe beziehen können. Doch Ende vergangenen Jahres befand das Fuhlsbüttler Sozialamt, daß damit Schluß sein soll. Begründung: BesucherInnen von BVK-Klassen könnten Bafög beziehen und hätten so keinen Anspruch auf Sozi. Was die Sozialbehörde nicht interessiert: Wegen ihres „vorübergehenden Aufenthaltsstatus“ bekommen diese Jugendliche auch kein Bafög. Rund 750 der insgesamt 1500 Jugendlichen in BVK-Klassen sind von dieser Regelung betroffen; nicht nur minderjährige Flüchtlinge, sondern auch AusländerInnen mit befristeten Duldungen.
Doch trotz monatelanger Beratungen in diversen Bürgerschaftsausschüssen mochten sich die Abgeordneten nicht zu einer alternativen Finanzierungslösung durchringen. Die GAL hatte gefordert, für diese Jugendlichen einen Sonderfonds einzurichten. Keine Mehrkosten, sondern nur eine Umschichtung von Sozialhilfemitteln hätte dies bedeutet. „Die Schulbehörde hatte diese Idee befürwortet“, so GAL-Abgeordnete Jutta Biallas, „doch die Sozialbehörde legt sich quer.“ Ihre Begründung: Keine Sozialhilfe durch die Hintertür, dies verstoße gegen das Gleichbehandlungsgebot.
Und nun ist Schluß mit Gleichbehandlung: Ab Herbst werden die jungen AusländerInnen in Sonderprogamme gesteckt – sogenannte Basis-Kurse für Ausländer (BKA). Diesen laufen halbjährig (Deutschmann: „abschiebegerecht zugeschnitten“) und vermitteln keine Grundbildung: Auf diesem Weg soll die „Sozialhilfe-Fähigkeit“ wieder hergestellt werden. Keine Integration mehr, sondern Schule als Ort der Selektion, klagt Deutschmann: „Hier werden alle Mühseligen und Beladenen in Sonderklassen zusammengefaßt.“
Schlimmer noch: Nach Ansicht von Jutta Biallas wird so das elementare Recht auf Bildung, das in Deutschland allen Kindern und Jugendlichen unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus zusteht, mit Füssen getreten. Deutschmann: „Mit dieser politischen Entscheidung verabschiedet sich Schulsenatorin Rosemarie Raab endgültig vom Grundsatz ,Gleiches Recht auf Bildung für alle'.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen