,Sie stechen und stechen, und der lebt und lebt'

■ Der oberste Mordkomissar über die unangenehmen Seiten des Berufs und die Erleichterung der Geständigen

Im Schnitt werden jährlich acht Menschen in Bremen ermordet. Dann lädt die Bremer Mordkomission zur Pressekonferenz. Was die 23 Spezialisten (darunter keine einzige Frau) sonst noch so erleben, dazu befragten wir jetzt den Leiter des „Sachgebiets für Kapitaldelikte“, den Ersten Kriminalhauptkomissar Wolfgang Rau.

Gucken oder lesen Sie Krimis?

Wolfgang Rau: Vor zwei Jahren habe ich meinen letzten Krimi gelesen, im Urlaub in der Toskana, „Das Schweigen der Lämmer“, den fand ich stark. Meine Frau guckt gerne Krimis, da bleibt mir nichts anderes übrig, als mitzugucken...

Welche Serie kommt der Wirklichkeit am nächsten?

„Derrick“ ist total realitätsfremd, das ganze Milieu stimmt nicht, also die Dame im langen Kleid am Swimmingpool ... Bei uns spielen sich 90 Prozent der Taten im sozial schwachen Milieu ab. Außerdem hat bei uns nicht einer das Aha-Erlebnis, das ist Teamarbeit. Am besten gefällt mir noch „K3“ vom NDR. Da wird die Teamarbeit am deutlichsten: Daß die einen eine Kneipentour machen, um abzuklären, wo das Opfer vorher war, während die anderen in der Nachbarschaft nachfragen... Es kann nicht einer die zündende Idee haben. Auch der Leiter der Mordkomission nicht, der kann bestenfalls das Zusammengetragene ordnen und die Prioritäten neu bestimmen, wobei „bestimmen“ schon das falsche Wort ist – ich muß einen Konsens erzielen. Das sind schließlich alles erfahrene Kriminalbeamte, die aus den unterschiedlichsten, auch sehr hochqualifizierten Berufen kommen – wir haben auch Bankfachleute und Ingenieure bei uns.

Drängen sich alle darum, Mordkomissar zu werden?

Bei den Polizeianfängern schon. Aber wer ein bißchen länger bei der Kriminalpolizei ist, weiß, daß der Dienst eigentlich keine angenehme Sache ist.

Was ist daran unangenehm, Sie haben doch nur acht Morde jährlich aufzuklären...

Wir haben ja nicht nur diese Morde und die anderen rund 45 Tötungsdelikte wie versuchter Totschlag oder fahrlässige Tötung. Wir müssen außerdem sämtliche Leichensachen abwickeln, und das sind in Bremen 500 im Jahr: Suicide, Unglücksfälle, tödliche Betriebsunfälle, unklare Todesursachen...

Und was ist daran unangenehm?

Es ist ausgesprochen eklig, einen Menschen, der fünf Wochen tot in der Wohnung gelegen hat, daraufhin abzutasten, ob Fremdverschulden vorliegt. Wer sagt, ihm mache das nichts aus, lügt. Dabei beeinflußt einen vielleicht nicht so sehr der Umgang mit den Toten – aber wenn sich ein junger Mensch vor den Zug geworfen hat, dann sitzen am nächsten Tag die Angehörigen hier bei mir. Dann erfahren Sie die Lebensgeschichte dieses jungen Menschen. Und dann ziehen Sie Parallelen im Bekanntenkreis, dann hören Sie auf einmal die Flöhe husten...

Aber wenigstens sind Sie bei Ihrer Arbeit erfolgreich, die Aufklärungsquote bei Tötungsdelikten ist doch sehr hoch...

Das liegt aber nicht so sehr an uns. Auch ohne Polizei ist in 90 Prozent der täter bekannt, weil er nicht flüchtet. Er weiß ja, was er gemacht hat. Die Tötung eines Menschen ist auch für den, der getötet hat, was ganz Schlimmes.

Immer?

Ich hatte bislang erst einen Killer.

Warum hat Ihnen dann das „Schweigen der Lämmer“ so gefallen, da geht es ja um diesen in der Realität so seltenen Fall eines Killers?

Die wissenschaftliche Begleitung fand ich sehr stark. Wie man zum Beispiel durch die Anordnung der Leichenfunde auf den Wohnort des Täters gekommen ist – die erste Leiche versteckt der Täter ja noch nicht so weit vom Wohnort entfernt. Das amerikanische FBI arbeitet sowieso mehr mit Täteranalysen, mehr im psychologischen Bereich.

Das macht man hier nicht?

Doch, zum Teil. Wir hatten zum Beispiel einen Kieler Professor gebeten, mit uns über die Typisierung eines Telefonprostituierten-Mörders zu sprechen. Wir hatten ja drei Taten, zwei in der Innenstadt, eine in Bremen Nord. Der erzählte von einer Untersuchung über Tötungsdelikte von „zufälligen Bekanntschaften“. Da entsprachen 36 Prozent der Täter dem gleichen Typ: Dieser Typ, zwischen 22 und 32 Jahre alt, fühlt sich ständig unter Druck, sowohl in der Ehe wie an der Arbeitsstelle, er arbeitet in der Regel auf niedrigem Niveau, wird viel geschickt, fühlt sich nicht anerkannt. Die meisten haben mehrere Suizidversuche hinter sich. Unser Mann paßte da genau rein. Diese Leute meinen, in der Begegnung mit der Prostituierten endlich mal den gleichberechtigten, wenn nicht sogar den erhöhten Menschen spielen zu können – weil sie zahlen. Macht die Prostituierte den Fehler, das zu kaufmännisch abzuwickeln, vermittelt sie ihm also das Gefühl ihrer Überlegenheit, dann ist sie in Gefahr.

Erzählen Ihnen die Täter dann auch von solchen Minderwertigkeitsgefühlen?

Die meisten sind froh, über die Tat sprechen zu können. Am Tag nach ihrem Geständnis sagen sie, daß sie seit Wochen endlich mal wieder richtig geschlafen haben.

Sie müssen dem Täter also gar nichts entlocken?

Wir haben nicht das Problem, dem was zu entlocken, ein Geständnis zu kriegen, sondern überhaupt erst mal einen Draht zu ihm zu finden, ihm über die Schwelle zu helfen, darüber zu sprechen. Der 16jährige, der versucht hat, ein Mädel zu vergewaltigen, und es, als das nicht klappte, getötet hat, der wird mir hier doch nicht erzählen, daß er dabei sexuell erregt war. Und trotzdem sucht er nach Wegen, es zu erzählen, weil es ihn so beschäftigt. Stellen Sie sich doch mal vor, Sie stechen mit dem Messer in einen Menschen und sehen den sterben. Und zwar nicht so wie in Film und Fernsehen, daß er gleich tot ist. Ach was, der lebt und lebt und lebt, und Sie stechen und stechen und stechen und stechen ... Das Bild müssen Sie erst mal vergessen. Wie die Augen immer größer werden, das Blut über ihre Hand fließt ... Es muß entsetzlich sein, wenn dann die Gedanken wiederkommen.

Das hört sich sehr verständnisvoll an, wie eine therapeutische Sitzung... Sagen Sie nicht auch mal „So ein Schwein“?

Nein. Ich sage Ihnen: Es wird kein Verdächtiger bei der Polizei zuvorkommender behandelt als der, der einen Menschen umgebracht hat.

Wie kommt das denn?

Man braucht eine gewisse Zeit, um ein Vertrauensverhältnis zwischen dem Verdächtigen und dem vernehmenden Kriminalbeamten aufzubauen. Das geht nicht mit Anschreien.

Was reden Sie in solchen Vorgesprächen miteinander?

Wir hatten hier zum Beispiel einen 16jährigen Täter, der hatte ein Mädchen umgebracht und dann mit verstellter Stimme, in türkisch-deutschem Kauderwelsch, angerufen. Wir hatten die Stimme auf Band und erkannten ihn. Aber erst nach drei Stunden hat er zugegeben, daß das seine Stimme ist. Dann hat es weitere sieben Stunden gedauert, bis er sagte: „So, jetzt erzähl ich euch, was passiert ist“. Er wollte sich aber nur von dem Beamten vernehmen lassen, der vorher in dem Gespräch über Hobbies erzählt hat, daß er mal Flugzeugbauer war.

Wenn Sie immer mit solch Scheußlichkeiten zu tun haben wie 16jährigen Mördern – wird man da nicht zynisch?

Man muß aus Selbstschutz irgendwas machen, was einen psychisch wieder ins Gleichgewicht bringt. Ich zum Beispiel hab' 15 Jahre lang 8-10jährige Jungs im Handball trainiert: Ich hab' das als sowas Angenehmes empfunden, wie die vor der Halle auf mich warten, alles, was die erzählen, ist total ehrlich, da ist nichts gelogen, total unverdorben. Dadurch kann man sich doch ein bißchen die Objektivität bewahren. Sonst glauben Sie nur noch, daß Sie in einer ganz, ganz schlechten Welt leben.

Gespräch: Christine Holch