Denn sie wissen, was sie tun

■ Guter Start mit jugendlicher Sozialkritik: Das Theater Fürst Oblomov mit dem Betroffenendrama „Crashkids“

An die Zukunft denken sie nicht. Wieso auch? „Sterben mußt du, wenn du schön bist.“ Durch Selbstmord etwa, oder aber im Krieg. „Krieg ist geil. Krieg ist eine Aufgabe. Im Krieg kannst du noch stolz sein.“ Aber das ist nur so ein vermeintlicher Ausweg.

Mülli und Crashy langweilen sich, wenn sie nicht gerade Autos knacken, mit den geklauten Wagen herumrasen und Unmengen Bier trinken. Überall stoßen sie auf Unverständnis: bei spießigen Eltern, hilflosen Lehrern, einem strickenden Sozialarbeiter, zwei prügelnden Polizistinnen und auch bei Gleichaltrigen. Mülli fliegt vom Gymnasium, und Crashy schwänzt die Schule schon seit langem. Alles ist einfach scheiße.

16jährige ohne Perspektive? Der Wunsch nach einer „Männersache“, nach Ausbruch, weg vom „Dreck“ der Großstadt, „dem Stau, der Langeweile und den Gaffern“. Das läßt an J.D. Salingers „Fänger im Roggen“ denken oder an die angry young men der Beat- Generation in der Nachkriegszeit – „Denn sie wissen nicht, was sie tun“. Das Besondere an „Crashkids“ ist nicht die Thematik, sondern die Entstehungsgeschichte. Die entscheidenden Impulse für die Erarbeitung dieser Aufführung gingen von etwa 50 Jugendlichen im Alter zwischen 12 und 19 aus. Sie stammen vorwiegend aus dem Ostteil der Stadt, aus unterschiedlichen Schulen, Arbeits- und Projektgruppen oder haben sich einfach auf der Straße zusammengefunden.

Das Stück sollte ihr Lebensgefühl, ihre Erfahrungen, Hoffnungen und Ängste widerspiegeln – ihre Sprache. Gemeinsam mit dem Theaterwissenschaftler und Krimiautor Frank Goyke gestalteten sie die lockere Szenenfolge und verfaßten einzelne Dialoge. In verschiedenen Arbeitsgruppen beteiligten sich die Jugendlichen außerdem am Bühnenbild, kümmerten sich um Beleuchtung, Technik, Werbung und Live-Musik.

„Crashkids“ ist das neueste Projekt des Theaters Fürst Oblomov, das aus dem Verein Theater & Schulen hervorging. Im September letzten Jahres ist die Truppe um den Regisseur Jürgen Bonk aus Friedrichshain nach Mitte gezogen, direkt an den S-Bahnhof Hackescher Markt. Dort haben sie sich eine geräumige Berliner Altbauwohnung gemütlich eingerichtet, mit alten Gründerzeitmöbeln, Kinoklappstühlen und großen russischen Puppen.

Fürst Oblomov ist einerseits natürlich einfach ein weiteres Theater mit einem abendlichen Repertoirebetrieb, in dem populistische Stücke wie José Trianas „Nacht der Mörder“ und Kishons „Es war die Nachtigall“ gezeigt werden. Darüber hinaus wird aber auch die Idee von Theater & Schulen weitergeführt. Das Theater versteht sich als soziale Einrichtung und möchte Jugendkulturarbeit leisten, wie im konkreten Fall von „Crashkids“: Jugendliche machen Theater für Jugendliche.

Für den Herbst geplant ist beispielsweise eine Dramatisierung Goykes von Gontscharows Roman „Oblomov“, die Jugendliche gemeinsam mit professionellen Theaterleuten aufführen werden. Speziell für Schulklassen gibt es von allen Inszenierungen auch Vormittagsvorstellungen.

Diese Arbeit ist weit mehr als guter Wille, und auch in künstlerischer Hinsicht bemerkenswert, wie die „Crashkids“ zeigen: Die beiden Hauptdarsteller Alexander Hertzfeldt und Sebastian Schreiter überzeugen in den Rollen von Mülli und Crashy, man merkt ihnen an, die auf der Bühne dargestellte Wirklichkeit genau zu kennen. Sie spielen sich selbst – und das mit großem Elan. Die Realität auf der Bühne überschneidet sich ja auch tatsächlich mit der Situation der jungen Leute im Theater Fürst Oblomov – ein Teil von ihnen leistet bei Theater & Schulen e.V. vom Jugendgerichtshof angeordnete Strafstunden ab.

Finanzielle Unterstützung erhält der Verein und damit das Fürst Oblomov von der Senatsverwaltung für Jugend und Familie: Das Anti-Gewalt-Programm „Jugend mit Zukunft“ stellt die Förderung bis 1996 sicher. Und obwohl das Geld in solchen Fällen natürlich nie ausreicht, ist Fürst Oblomow/Theater & Schulen sicherlich eines der wenigen Theater, die sich – mit 15 festen und sechs ABM- Stellen – um ihre Existenz keine Sorgen machen müssen. Henriette Klose

Jetzt ist erst mal Spielpause, aber ab 7.9. geht's weiter im Fürst Oblomov, Neue Promenade 6, Mitte.