: PillePalle ...
... und der Autorennfilm: „Einfach nur Liebe“ von Peter Timm ist unter anderem auch ein Paukerfilm ohne Sex und Prügelstrafe ■ Von Andreas Becker
Schade, daß Theo Lingen tot ist. Und der Schulmädchenreport auch. Und der deutsche Pennälerfilm ist zur ewigen Rotation verdammt zwischen moralinspritzenden Oberlehrern, die mit Papierknöllchen beworfen werden, und schnauzbärtigen Schlaghosen-Referendaren, die von frühreifen Nymphchen in der Turnhalle verführt werden. Auch wenn die Genres 25 Jahre voneinander entfernt liegen, so dienten sie doch beide, so pervers es klingt, zunächst der Emanzipation der SchülerIn vom Lehrer. Der Lehrer wird der Lächerlichkeit preisgegeben. Entweder weil Seiner zu mickrig ist, oder weil sein Käfer nicht anspringt, oder beides. Daß am Ende der Lehrer die Oberhand über die Schüler behält, ist bei Pseudo-Komödie und Sexfilm gleich, denn beide sind unverbrüchlich an den Lauf des Schuljahrs gekoppelt: vor den Sommerferien gibt's Zeugnisse. Früher gab's dann Senge von Papi Heinz Rühmann, später schlechte Noten wegen BH-Untergröße.
Ein wunderbares Versuchsfeld also für einen Schulfilm der Neunziger. Peter Timm, der immerhin mal „Meier“ zustande brachte, den lustigsten DDR-Film, made in BRD, der sich dann, schon weniger lustig, mit „Go Trabi Go“ und „Manta – der Film“ um den deutschen Autoren(n)film bemühte, hat den Versuch gewagt und ist kläglich ... „Einfach nur Liebe“ spielt auf dem „Schlachtfeld Schulhof“ (alle Zitate, bis auf eins, aus dem Info des Jugendfilm-Verleihs des Berliner CDU-Abgeordneten Wohlrabe, alias Übelkrähe).
Was auf diesem Schulhof los ist, hätte sich Heinz „Feuerzangenbowle“ Rühmann kaum bunter ausmalen können. Drehbuchautor Xao Seffcheque, den ich bis dato für einen guten Menschen hielt, weil er mit den Bands Fehlfarben/ Family Five verbandelt ist, hat mit Kollege Michael Arnal eine Story verfassen wollen, die „zum Nachdenken und zum Lachen“ ist. Irgendwie ist das sogar geglückt.
Denn die Schule, an die Lehrer Pilgrim versetzt wird, ist ein Abziehbild der deutschen Gegenwart. Ochsenknecht ist Pilgrim. Pilgrim wird von den Schülern Pille genannt und wie Ochse behandelt. Da muß er gegen an. Sein Glück ist, daß es an der Film-Schule Gute und Schlechte gibt, die man schon auf hundert Meter an ihrem Gang erkennt. Als Schüler Mamba sich weigert, Geld an die Gang von Schüler Thommy zu entrichten, die „eine regelrechte Gewaltherrschaft“ an der Schule errichtet hat, hat PillePalles große Stunde geschlagen. Vor der Schulmauer, übersät mit schlecht gemachten Graffitis, kommt es zur Schlägerei. Thommys Truppe, die Smashers – rechts, weil schwarz gekleidet – will Mambos Freund, den Türken Yüksel, vermöbeln. Retter in der Not des „frechen, vorlauten Deutsch-Türken“ ist Ochse, der mit wehendem Haar und einer Autoantenne, die er zum Stilett umfunktioniert, die Faschos in die Flucht schlägt. Ochsenpille ist ein moderner Pädagoge. Er weiß, daß es so nicht weitergehen kann, mit der Gewalt an deutschen Schulen: „In Pretoria haben wir gesehen, was passiert, wenn man sich nicht wehrt“ (O-Ton Pilgrim).
Die Klamotten der Kids sehen aus, wie sich Fünfzigjährige Fünfzehnjährige vorstellen. Einmal durch den Levi's Shop getrabt, und schon hat man die Requisiten zusammen. Alle tragen diese blöden Feinripp—Hemden, bei denen man die oberen drei Knöpfe offenläßt. Die Guten um Mamba machen Musik in der Schulcombo „Fresh Familee“, „einer multikulturellen HipHop-Gang“, die es im wirklichen Leben nämlich wirklich gibt.
„Einfach nur Liebe“ ist, es klingt so oll, wie man sich danach fühlt. Daß Yüksel, der einzige Türke des Films, von einem Deutschen gespielt wird (Moritz Bleibtreu), wundert da auch nicht mehr. Aber vielleicht ist Ochse nur das Double von „Ochsenknecht“, und alle andern sind total pillepalle. So wird aus Theo Lingen nie ein Sexmaniac. Andreas Becker
„Einfach nur Liebe“. Regie: Peter Timm, Kamera: Fritz Seemann, mit Benno Führmann, Regula Grauwiller, Uwe Ochsenknecht. BRD, 1994, 94 Min
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen