■ Die Polizei hat das Hüttendorf von Gorleben geräumt
: Was ist nur in Schröder gefahren?

Ein Lernprozeß schien in Gang gekommen. Sozialdemokraten wie Gerhard Schröder begannen zu verstehen, wo ihre Chance lag. Sie setzten auf die zumindest stillschweigende Hilfe von Bürgerinitiativen und professionellen Umweltschützern für ihr Projekt einer Reform der Energiewirtschaft. In diesen Rahmen ließ sich auch die Atomwirtschaft einbinden, es war erstmals möglich geworden, über den Ausstieg aus der Atomenergie zu verhandeln. Die Gespräche über einen Energiekonsens sind letzten Herbst nicht gescheitert, sondern aus überwiegend wahltaktischen Gründen unterbrochen worden.

Seit gestern besteht wenig Aussicht, daß sie sinnvoll weitergeführt werden können. Zumindest Gerhard Schröder hat seinen besten Trumpf verspielt: Er ließ seine Polizei gegen ein paar hundert Menschen aufmarschieren, die nichts anderes wollten als das, was er angeblich auch wollte. Nämlich verhindern, daß die Atomindustrie mit einem demonstrativen Transport abgebrannter Brennstäbe in Gorleben eigenmächtig Fakten schafft, über die erst noch verhandelt werden müßte.

Gerhard Schröder hätte sich freuen können über den friedlichen Protest, aber eben das durfte wohl nicht sein. Das alte sozialdemokratische Vorurteil gegen jede Art von Graswurzelpolitik ließ den Ministerpräsidenten nach der Polizei rufen. Die Lust auf Widerstand, die in Gorleben wieder wach wurde, sie schien nun noch weit gefährlicher als die Pläne der Atomwirtschaft. Das ist der Geist aus der Baracke, der Mief der sozialdemokratischen Hinterstuben, in denen der Stallgeruch den Kopf vernebelt.

Nun steht das Hüttendorf nicht mehr. Es wird sich noch herausstellen, wie sehr es gerade dieser Landesregierung fehlt. Über den niedersächsischen Diensteifer dürfte sich die Atomindustrie selbst am meisten wundern. Derart vorauseilenden Gehorsam hatte sie gar nicht verlangt. Sie wird ihn deshalb auch nicht honorieren. Mit den paar Atom-Gesetzen, auf die der ehrgeizige Sozialdemokrat in Niedersachsen setzt, wird ihre Lobby in Bonn allemal fertig. Was wirklich zählt, sind die politischen Kosten, sind Demonstrationen, Unterschriftenlisten, Bürgerinitiativen. Denn die klügeren Köpfe der Energiewirtschaft wissen längst, daß die Atomtechnik in Deutschland nie mehr auf aktive Zustimmung der Bevölkerung rechnen kann, sie wären froh, einigermaßen unbeschädigt aus dieser Sackgasse herauszukommen. Daß in Gorleben wieder ein Hüttendorf entstand, ist dafür ein Alarmsignal. Man kann es zerstören, aber nur die allergößten Trottel glauben, das Feuer sei gelöscht, wenn die Sirene verstummt ist. Niklaus Hablützel