Deutsche Soldaten defilieren wieder auf den Champs-Elysées in Paris

■ Die meisten Franzosen beobachten das Spektakel gelassen

Paris (taz) – Valéry Giscard d'Estaing ist ein kühler Technokrat. Um so mehr überraschte es die Franzosen, als dem steifen Ex- Präsidenten bei einem Live-Auftritt in der Hauptnachrichtensendung plötzlich Tränen in die Augen stiegen: Der geplante Aufmarsch von deutschen Soldaten auf den Champs-Elysées erschütterte den überzeugten Europäer so sehr, daß er die Fassung verlor. „Es gibt Orte für die Versöhnung, und es gibt Momente der Erinnerung“, sagte Giscard, der als Schuljunge in Paris die deutschen Besatzer erlebt hatte.

Die spektakuläre Einladung an das Eurocorps, mit der Staatspräsident François Mitterrand vor allem Bundeskanzler Helmut Kohl über den Ausschluß von den D-Day-Feierlichkeiten am 6. Juni hinwegtrösten will, trifft bei vielen Franzosen einen sensiblen Punkt. Einstimmigen Protest äußerte allerdings nur die Kommunistische Partei, die am Dienstag in Paris gegen „das Defilee der deutschen Panzer“ demonstriert hat. Mehr als ein paar hundert Menschen gingen dabei jedoch nicht auf die Straße.

In allen anderen Parteien sind die Meinungen geteilt. Wobei die Gegner einer Einladung an das Eurocorps nicht allein die deutsche Beteiligung kritisieren. So sprach der konservative Abgeordnete Robert-André Vivien vom „Operettencorps“, weil sich die internationale Einheit den Ruhm einer Nationaltagsparade noch gar nicht erkämpft hat. Auch der neogaullistische Senator Michel Caldaguès zweifelt an der Tauglichkeit des Eurocorps und verunglimpfte es als rein symbolische „Erscheinung“. Der Verteidigungsexperte befürchtet, daß die internationale Truppe durch den deutschen und belgischen Einfluß stets der Nato untergeordnet bleibe.

Pierre Lellouche, außenpolitischer Berater von Präsidentschaftskandidat Jacques Chirac, bauschte die Parade des Eurocorps hingegen zum „Symbol für die Geburt eines europäischen Willens zur Verteidigung“ auf. Mehrere Zeitungskommentatoren begrüßten, daß die Anwesenheit des Bundeskanzlers auf der Ehrentribüne der Bundesrepublik den Platz einräumt, der ihrem neuen politischen Gewicht entspricht. „Morgen wird (Deutschland) unvermeidlich in den sehr geschlossenen Club des UN-Sicherheitsrates eintreten“, sagte der konservative Figaro gestern voraus und wünschte, daß die Deutschen durch die europäische Einbindung vor neuerlichen Alleingängen geschützt werden: „Dieses Volk, das das römische Reich im Jahr 476 zu Fall brachte, hat keine Grenze und erscheint auf unserem Kontinent manchmal unentschieden. Man muß ihm deshalb eine Richtung geben.“

Um Mißverständnisse zu vermeiden, werden die 200 deutschen Soldaten heute möglichst unauffällig in die Masse ihrer französischen, belgischen und spanischen Kameraden gemischt. Alle 800 Soldaten tragen Kampfanzüge, nur der Kragenspiegel zeigt die Nationalität an. Die Nationalflaggen werden gemeinsam vorneweg getragen. Da das Eurocorps eine Panzereinheit ist, marschieren die Männer auch nicht, sondern rollen in 150 Fahrzeugen als vorletzte Truppe der Parade, nur noch gefolgt von den Pariser Feuerwehrleuten, über die Prachtstraße.

Richtig in Dienst gestellt werden soll die neue Truppe, die beim deutsch-französischen Gipfel 1992 aus der Taufe gehoben wurde, erst am 1. Oktober 1995. Die 50.000 Mann bilden dann den ersten multinationalen Großverband in der Militärgeschichte. Der heutige Auftritt des Eurocorps ist der erste in der Öffentlichkeit.

Die Bevölkerung sieht das Militärspektakel recht gelassen: Rund zwei Drittel der Franzosen begrüßen das Mitmachen der Deutschen. Für die meisten von ihnen dürfte jedoch der unterhaltsame Teil des Nationalfeiertages mit Volksbällen, Musette-Walzern, Mehlkanonen, Knallfröschen und Feuerwerken wichtiger sein als die Debatte für und wider das Dabeisein der Bundeswehr. Bettina Kaps