Anklage wider Willen

Siggi Nonne, der dubiose Zeuge und frühere V-Mann soll Herrhausen-Attentäter bei sich zu Hause einquartiert haben / Bundesgerichtshof zwingt Generalbundesanwalt zur Anklage  ■ Von Gerd Rosenkranz

Berlin (taz) – „Einer öffentlichen Gerichtsverhandlung gegen Siggi Nonne“, versicherte vor rund eineinhalb Jahren ein Bundesanwalt in Karlsruhe, „würde ich mit ausgesprochenem Schrecken entgegensehen.“ Nun scheint der Schrecken greifbar. Mit Datum vom 27. Juni klagt der Generalbundesanwalt den angeblichen RAF-Unterstützer und früheren V-Mann des Verfassungsschutzes wegen Beihilfe zum Mord an. Nonne soll dem RAF-Kommando „Wolfgang Beer“, das am 30. November 1989 den Chef der Deutschen Bank Alfred Herrhausen in seiner gepanzerten Limousine zu Tode sprengte, seine Wohnung als Basisquartier zur Verfügung gestellt haben. – Die Anklageschrift beruft sich auf ein Geständnis des psychisch labilen „Kronzeugen“, das dieser jedoch im Sommer 1992 bereits widerrief. Überraschend erklärte Nonne damals seine ursprüngliche Geschichte für frei erfunden, wonach er das vierköpfige RAF-Kommando im Vorfeld des Attentats in seiner Wohung in Bad Homburg aufgenommen und bei den Anschlagsvorbereitungen logistisch unterstützt habe. Schlimmer für die Behörden: Der vermeintliche Kronzeuge, der Jahre zuvor als V-Mann in der Frankfurter Linksszene geführt worden war, behauptete, seine ersten Aussagen seien von Beamten des hessischen Verfassungsschutzes unter Drohungen erzwungen worden. Der letzte Vorwurf konnte nie bewiesen werden. Nonnes Erzählungen aber waren derart widersprüchlich, daß auch im Sicherheitsapparat Zweifel aufkamen. Das einzige Indiz, das die ursprüngliche Aussage zu untermauern schien, waren Sprengstoffspuren, die angeblich in Nonnes Keller gefunden wurden. Doch die stimmten nur bedingt mit dem Gemisch überein, das beim Herrhausen-Anschlag eingesetzt worden war.

Trotzdem wollte die Bundesanwaltschaft Nonne weiter glauben. Ihr Motiv: Sie hatte die Aussagen des „Kronzeugen“ überschwenglich als großen Fahndungserfolg gegen die RAF gefeiert. Außerdem waren die Haftbefehle gegen die angeblichen RAF-Mitglieder Andrea Klump und Christoph Seidler nach Nonnes Aussagen wegen der Beteiligung am Herrhausen-Mord erweitert worden. Beide wollte Nonne unter den bei ihm logierenden RAF-Mitgliedern erkannt haben. Hätte die Bundesanwaltschaft das Verfahren gegen Nonne wegen der Unglaubwürdigkeit des Zeugen geräuschlos eingestellt, hätte zwangsläufig auch der Mordvorwurf gegen Seidler und Klump nicht aufrechterhalten werden können. Wichtig wäre dies insbesondere für Seidler, dem neben Nonnes Erzählungen nichts weiter vorgeworfen wird, als die Mitgliedschaft in der RAF. – So in Zwickmühle, fand Generalbundesanwalt Kai Nehm den Ausweg: Er beantragte beim Bundesgerichtshof (BGH), auf eine Strafverfolgung Nonnes zu verzichten, weil dieser als Kronzeuge „wesentlich zur Aufklärung“ des Herrhausen-Anschlags beigetragen habe. Damit wäre die drohende gerichtsöffentliche Demontage des „Kronzeugen“ Nonne ausgefallen. Die Haftbefehle gegen Klump und Seidler wären geblieben wie sie sind. Der BGH machte im Mai einen Strich durch die schön ausgedachte Rechnung. Er bestand auf der Strafverfolgung Nonnes. Der Generalbundesanwalt klagt wider Willen.