Auf die Seite der Opfer stellen

■ Vermeintlicher „Mißbrauch mit dem sexuellen Mißbrauch“: ohne Parteilichkeit geht es nicht

Sexueller Mißbrauch wird von Beratungsstellen in Kinder hineingefragt. Übereifrige Feministinnen arbeiten voreingenommen, unsauber und mit suggestiven Methoden. Diese Vorwürfe werden seit Monaten heftig diskutiert – wobei vielen diese Lawine, die die Wissenschaftlerin Katharina Rutschky losgetreten hat, gerade recht kam. Andererseits heißt es, mehr und mehr Fälle von Übergriffen und sexueller Gewalt gegen Kinder würden von engagierten Psychologinnen und Pädagoginnen aufgedeckt.

Der vermeintliche „Mißbrauch mit dem Mißbrauch“ war gestern Thema einer Veranstaltung der ZGF, die die Berliner Psychologin Sabine v.d. Lühe nach Bremen geladen hatte – eine Frau, die nicht nur jahrelang an einem Kreuzberger Kindertherapiezentrum beschäftigt war und an der Uni zum Thema arbeitet, sondern auch Supervisorin der Beratungsgruppe „Wildwasser“ in Berlin ist – die war von Rutschky explizit angegriffen worden.

„Körperliche Mißhandlung und Gewalt sind so sehr Alltag in unserer patriarchalen Gesellschaft, daß diese immer zuerst die Täter schützt“ – diese Lehre habe sie aus ihrer Arbeit gezogen, so v.d. Lühe. Jahre hat es gedauert, bis das Thema aus der Tabuzone heraus an die Öffentlichkeit kam – und von den Beratungsstellen und Psychologinnen auch an die Öffentlichkeit gelassen wurde: „Daß wir dieses Thema so lange schamhaft zurückgehalten haben, entlastete auch die Umwelt“, sagte die Psychologin. Ob der starke Gegenwind aber nun einfach nur Geburtswehen seien, wenn eben ein Tabuthema öffentlich wird, oder es „eine ganz neue Qualität hat, wenn sich Täter organisieren, ihre Anwälte und Ideologen finden“, so ein Diskussionsteilnehmer –, darüber war sich das Auditorium nicht einig.

Der Begriff der parteilichen Beratungsarbeit und Therapie steht besonders in der Kritik. Für Sabine v.d. Lühe verhält sich die Zunft der TherapeutInnen aber oft vage: „Es ist immer einfacher, das Leiden verstehend zu begleiten, als zu sagen: Ich verstehe, und was können wir nun tun?“. Bei einem Verdacht auf sexuellen Mißbrauch sei es unmöglich, sich nicht dazu zu verhalten – „denn alles wird als Reaktion gedeutet, und ein bloßes 'aha' verstärkt Kinder nur in ihrem schamvollen Gefühl.“ Und wenn Andeutungen im Raum seien, „dann kann ich das Kind nicht fragen: Wie hat sich das angefühlt?“. Damit werde die eigene Scham und Beteiligung thematisiert, und das jage Kinder „tiefer in ihre Einsamkeit und Verstrickung.“ Stattdessen müsse über „Täterbeschreibungen“ weitergefragt werden: „Hat er das und das getan?“

„Ich kann nicht warten, bis mißbrauchte Kinder als Erwachsene dann auf der Couch liegen oder TäterInnen werden.“ Von Ignoranz und Verleumdungen solle sich niemand abschrecken lassen. Fehleinschätzungen bestreitet v.d. Lühe nicht – aber aus dem Auditorium kam der Wunsch, Anfeindungen souveräner zu nehmen und sich nicht in eine Rechtfertigungsposition drängen zu lassen – diese Haltung schwäche nur die Argumente.

skai