Warten auf Clinton

Zwischenbericht von „Jazz in July“ im Quasimodo  ■ Von Christian Broecking

Vielleicht sollte man die Abschlußparty doch nicht als Auftakter bringen, vielleicht hatten die Berliner Boogalooteys auch schon bei der letzten BID genug von den Pariser Funk-Hopsern „Mad in Paris“, vielleicht war einfach nur der Fußball schuld oder ein Hauch von deutsch-französischem Reverse- Racism im Spiel: der Festivalopener war jedenfalls ein Durchfall total. Zuviel und Viel-zu-wichtig-Gerappe irgendwie, zumal in einer Sprache, die nicht recht hip, und in einer Pose, die nicht cool genug ist, und das noch von einer Möchtegern-Funkband gebackt. Glückwunsch! – denn am zweiten Abend klappte schon alles viel besser. Beim „Jazz in July“-Festival muß jedenfalls keiner befürchten, 50 Mark für eine mißlungene Probe in einer sanierten Disco zu löhnen. Im Quasimodo ist man schon mal für die Hälfte drin, der Sound stimmt meist und die Stimmung der Musiker auch, trotz Minigagen und Tourneestreß, trotz sauna-klimatischen Arbeitsbedingungen und rückläufiger Besucherzahlen. Mag sein, der Fußball war schuld. Daß zwar Mike Sterns Trio am soccerfreien Mittwoch Erinnerungen an die Quasi-Schwitzkessel-Stimmung der Vorjahre noch einmal aufkommen ließ, aber weder der Spike-Lee- und Wynton-Marsalis-Kumpel Terence Blanchard, noch der Hippie- Transzendent Charles Llyod und erst recht nicht die Meister-Groover Jimmy McGriff und Hank Crawford vermochten noch den Clubraum zu füllen. Jene schließlich, die glaubten, was Prince kann, wird Bill sich auch trauen, mögen enttäuscht auf das extra hingestellte Mikrophon am Montag abend gestarrt haben: Clinton jedenfalls vertat seine Chance, sich als saxophonender Jazzpräsident mit McGriff zu zeigen, und hinterließ damit die irgendwie beruhigende Gewißheit, daß das Quasimodo eben nicht das Weiße Haus ist. Der Underground-Minister Steve Coleman hingegen kam – mit seinen 3:1-Quoten-Rappern „Metrics“ und den großen Messages aus der Neuen Welt: Rauchen verboten! Keine Fotos! Keine Mitschnitte! Wie schon angedeutet: Das Jazzbusiness, zumal in Berlin, hat den Boden des Rationalen und Planbaren eingebüßt. Verwirrungen und Verirrungen, Halbgares und Viertelwahres machen sich in der Szene breit und das Gefühl, daß mit Therapie und Analyse bestenfalls noch Studiopreise und Stipendien zu gewinnen sind. Ob nun der Jazz aktuellen Poptrends „geopfert“ wird oder sich im Kanon der subventionierten Künste verliert, gewiß ist: Für Jazz wird es keine Heavy-Rotation bei MTV geben. Wenn dennoch die Label- Kategorien der Plattenmajors am Jazz-Horizont kleben wie Fliegen am Wachsstreifen, ist die Zeit gekommen, ruhiger zu treten.

Tonnen von bedrucktem Festival-Papier erinnern eben nicht nur an gekappte Bäume, sondern kündigen bei ausbleibender Breitenwirkung zumindest auch ein merkwürdiges Mißverhältnis an: Als printmediales Ereignis ist Jazz nämlich nach wie vor „in“. Daß hier allerdings auch geschäftige Schnellschreiber längst entsorgt geglaubte Käseglocken aus der Sechziger-Rassismus-Rhetorik unwidersprochen recyceln können, gehört zu den eher unangenehmen Randerscheinungen dieses Jazzfestivals. Das Talkin'-Loud-Syndrom – ich weiß nicht, also schreibe ich – erwischte jedenfalls eiskalt jenen Kollegen vom Tagesspiegel, dem dann zu Loius Armstrong gerade noch „Blasebacke“ und „Clown des Establishments“ einfiel. Ein anderer wußte für Steve Coleman immerhin noch den Terminus „Gebildetheit“ zu bemühen – so hip war man schon lange nicht mehr.

„Calling The Brothers And Sisters Home“ ist angesichts dieser Lage nicht von ungefähr die Headline, mit der der charismatische Saxophonist und Flötist Charles Lloyd aus dem kalifornischen Big Sur auf Clubbühnen einer lädierten Jazzwelt zurückgekehrt ist. Betty Carter wird am 19. Juli ihr musikalisches Statement zu diesem Thema geben.