■ Plädoyer für eine Entdramatisierung der PDS-Debatte
: Zur Strafe an die Macht!

Die Frage, „Wie halte ich es mit der PDS?“ ist angesichts Sachsen- Anhalts zu einer Frage von oberster Priorität geworden. Im Bewußtsein der Zumutung, die diese Debatte für die Opfer von 40 Jahren SED-Diktatur bedeutet, möchte ich dennoch für eine Entdramatisierung plädieren:

1. Der Erfolg der PDS ist kein spezifisches ostdeutsches Problem. In einigen mittelosteuropäischen Übergangsgesellschaften sind die reformistisch gewendeten alten Eliten an die Macht zurückgekehrt. Die Zersplitterung der neuen, vormals oppositionellen Eliten, die Sehnsucht nach Rückkehr des Fürsorgestaates, Verdrängungsbereitschaft und Verdrängungswille sind die Triebkräfte einer beispiellosen Entzauberung der euphorischen Hoffnungen des Aufbruchs von 1989. Die Wahl der zu mehr oder weniger sozialdemokratischen Parteien mutierten alten Eliten beinhaltet für viele Osteuropäer die Aussicht und den Wunsch, daß beides gelingen könnte: sowohl Marktwirtschaft und Konsum als auch soziale Sicherheit.

Ostdeutschland bildet in diesem Trend nur insofern einen Sonderfall, als die erste Phase der Transformation nicht durch oppositionelle Eliten, sondern durch die zentralen Institutionen der Bundesrepublik gesteuert worden ist. Besonders der Teil der Bevölkerung, der den Transformationsprozeß bisher als sozialen Einschnitt und Enttäuschung erlebt hat, macht dafür die alten Eliten der Bundesrepublik verantwortlich.

Mit der PDS wird die politische Partei gewählt, die durch das populistische Schüren dieses Konflikts die Frage nach der Eigenverantwortung für die heruntergewirtschaftete DDR-Ökonomie an den Westen wegdelegieren kann. Dennoch spricht einiges für die These des Ostberliner Kultur- und Politikwissenschaftlers Thomas Koch, daß sich die „Renaissance eines ostdeutschen Wir- und Selbstbewußtseins“ nicht nur auf die Unzufriedenheit von marginalisierten Vereinigungsverlierern stützen kann, sondern durchaus unterschiedliche Motivlagen und Trägergruppen umfaßt: zum Beispiel auch einen Teil der alten DDR- Eliten, die mit Hilfe ihres akkumulierten administrativen Herrschaftswissens sich erfolgreich als Selbständige etablierten.

Ihre Stärke: sie ist überall

2. Um einen politischen Gegner zu studieren, sollte man sich nicht nur mit seinen Schwächen, sondern auch mit seinen Stärken auseinandersetzen: Die PDS ist a) eine klassische Milieupartei, b) eine starke Mitgliederpartei, c) programmatisch eine linkspopulistische Partei und d) eine Intellektuellenpartei mit jungem Anhang. Als Milieupartei ist sie die einzige, sozial wirklich verankerte Partei in Ostdeutschland. Während sich neue gesellschaftliche Interessenblöcke und Sozialmilieus, die in dem bestehenden Parteienangebot eine adäquate Interessenvertretung sehen und suchen, in den neuen Bundesländern erst herausbilden, kann sich die PDS auf ein angestammtes Wählermilieu stützen. Mit immerhin noch 180.000 Mitgliedern ist die PDS die einzige Partei, die in nahezu allen Orten und allen Wohngegenden der neuen Bundesländer Aktivisten für den Wahlkampf mobilisieren kann.

Die Wahlkampfstrategie selbst ist hoch professionell, originell und mediengerecht. Als populistische Partei bedient die PDS mit einem Gemisch aus linker Sozialutopie und konservativ-romantischer Antipolitik verschiedene Wählerschichten: rechte bis traditionell- konservative (Motto: Wir sorgen dafür, daß man nachts wieder aus dem Haus gehen kann!), Selbständige (Motto: Wir Ossis verstehen auch etwas von Marktwirtschaft!) und im weitesten Sinne antiwestliche Wählergruppierungen.

Als Partei der alten und jungen Intelligenz vertritt sie sowohl die alte antifaschistische und parteikritische, aber systemloyale DDR-Intelligenz als auch eine romantisch- antikapitalistische und antiwestliche Strömung unter gebildeten Jugendlichen. Diese Differenzierungen sind notwendig, um die PDS nicht einfach nur unter dem Label „alte SED-Kader“ abzuhaken.

3. Bis hierhin wird man mir vielleicht folgen. Kritisch wird es erst, wenn es um die Frage von Zusammenarbeit, Koalitionsbildungen und Machtbeteiligung geht. Entscheidend ist für mich, in welchem Begründungszusammenhang eine tendenzielle Einbeziehung der PDS in demokratische Institutionen und Koalitionen steht. Bei einem Teil der traditionellen Linken hört man bereits das Wetterleuchten eines neuen strategischen Bündnisses aus SPD, PDS und Bündnisgrünen. Bei der PDS findet diese Hoffnung ihre Entsprechung in dem von PDS-nahen Intellektuellen geprägten Ausdruck von einem „neuen linken Reformkartell“. Eine Strategie, die den alten linken Einheitsfront-Gedanken wiederbeleben will, verharrt in den klassischen Denkfiguren des politischen Lagerdenkens in Deutschland und weigert sich, die dramatischen Veränderungen auf der politischen Landkarte der Bundesrepublik zur Kenntnis zu nehmen: Auf Länderebene gibt es bereits rein rote, rein schwarze, rot-schwarze, schwarz-gelbe, rot- grüne, rot-gelbe, rot-grün-gelbe Regierungen.

Alles so schön bunt hier!

Die PDS ist sicherlich nicht die Ausgeburt einer demokratisch entstandenen und legitimierten Partei, aber sie ist keine reale Bedrohung der Demokratie. Eine Einbeziehung der PDS in Koalitionen würde die oben beschriebene Landkarte lediglich ein wenig bunter machen und gleichzeitig einen disziplinierenden Effekt auf die Partei ausüben, denn sie müßte erstmals eigene Problemlösungskapazitäten in institutionellen Prozessen zur Verfügung stellen. Auf der anderen Seite spricht in einer Konkurrenzdemokratie nichts dagegen, daß sich die PDS am Wettbewerb um konkrete Lösungen und Politikangebote gleichberechtigt beteiligen kann. Mein nüchternes Plädoyer: Wenn man Koalitionen mit der PDS nicht als ideologisches und strategisches Bündnis anlegt, sondern als pragmatische Projekte, die auf konkrete Problembearbeitung und -bewältigung ausgerichtet sind, sollten sie prinzipiell genauso möglich sein wie Koalitionen etwa zwischen Bündnisgrünen und CDU.

Natürlich schließt solch eine Herangehensweise eine scharfe argumentative Auseinandersetzung mit dem politischen Erbe der PDS ein. Die PDS repräsentiert in ihren zentralen programmatischen Leitsätzen den in Osteuropa und der Sowjetunion gründlich gescheiterten Weg einer etatistisch regulierten Ökonomie und propagiert einen romantischen Antikapitalismus. Sie mobilisiert antidemokratische Ressentiments gegen den Westen, die in der Tradition konservativen Denkens in Deutschland stehen. Sie beschwört den Mythos einer antifaschistischen Tradition, die in Wirklichkeit antidemokratisch war. Sie verteidigt einen antiimperialistischen Internationalismus, der – in seiner Projektion auf die USA – die Feindbilder der alten bipolaren Weltordnung weiterführt. Sie definiert die politische Landkarte in den Mustern des alten Links-Rechts-Rasters, in dem die ökologische Frage nur als abgeleitete vorkommt. Aber all das ist kein Grund, sie von institutionellen Prozessen auszuschließen. Auch die PDS hat ein Recht auf Lernfähigkeit, solange sie sich an die demokratischen Spielregeln hält. Nichts ist lehrreicher, als die PDS zur Strafe vier Jahre an der Regierung zu beteiligen. Lothar Probst

Politikwissenschaftler an der Uni Bremen