„Dann wäre der Krieg ja umsonst gewesen“

■ Im bosnisch-serbischen Višegrad ist die Stimmung gegen den Friedensplan eindeutig

Višegrad (taz) – Der Dorfplatz ist überwuchert von Wegerich und Löwenzahn. Bis vor zwei Jahren erhob sich über dem Unkraut die größte der vier Moscheen von Višegrad. Sie wurde so gründlich dem Erdboden gleichgemacht, daß nicht einmal mehr Fundamente zu erahnen sind. Und da sich auch die gebürtigen Višegrader beim besten Willen nicht mehr an die Moschee erinnern wollen, könnte man dieses Kapitel als ausgelöscht betrachten – wäre da nicht eine verblichene alte Postkarte, Zeugin muslimischer Vergangenheit in Ostbosnien.

Die Karte läßt noch ein wenig von dem erahnen, was Ivo Andrić in seinem Višegrad-Roman „Die Brücke über die Drina“ beschrieb: das friedliche Nebeneinander der balkanischen Völker, versinnbildlicht in der Brücke über den Fluß Drina, der jahrhundertelang Orient und Okzident miteinander verband. Die Brücke mit ihren elf tonnenschweren Steinbögen steht noch. Aber die „grüne Transversale“ ist unterbrochen.

Vor zwei Jahren fand hier die „ethnische Säuberung“ statt: Die rund 15.000 muslimischen Višegrader wurden vertrieben; in den Resten ihrer Häuser wohnen nun serbische Flüchtlinge. Leben ist zurückgekehrt – aber es ist ein anderes Leben in einem anderen Višegrad. Andere Straßennamen: Der „Platz der Befreiung“ heißt heute „Platz der Gefallenen“. Eine neue Kultur: Aus den Cafés ertönt serbische Folklore-Musik.

Zwar sind die Spuren der Verwüstungen auch nach über zwei Jahren unübersehbar. Doch nach und nach finden viele der zerstörten Geschäfte einen neuen Inhaber, werden die nationalistischen Graffiti an den verkohlten Häuserwänden mit frischer Farbe übertüncht. In Višegrad geht der Wiederaufbau schneller voran als anderswo im serbischen Ostbosnien, denn die 20.000-Einwohner-Kleinstadt liegt unmittelbar an der Grenze zu Rest-Jugoslawien und wird durch den kleinen Grenzverkehr belebt. Auch in der Višegrader Holzfabrik werden inzwischen wieder Möbel gezimmert.

Noch gilt ab 22 Uhr Ausgangssperre – die Front bei Goražde ist nur 30 Kilometer entfernt. Doch die Višegrader basteln an ihrer Fassade der Normalität. „Wir sind ein eigener Staat“, betont Drago Gavrilović, Ortsvorsitzender von Karadžićs regierender Serbischer Demokratischer Partei (SDS). „In solchen Zeiten verschwinden die politischen Unterschiede. Solange die nationale Frage nicht gelöst ist, stehen die bosnischen Serben einig hinter Karadžić.“

In Višegrad ist außer Karadžićs SDS nur noch die Radikale Partei des Nationalistenführers Vojislav Šešelj vertreten. Doch anderswo in Serbisch-Bosnien, vor allem im westbosnischen Banja Luka, ist die Sozialistische Partei längst auf dem Vormarsch, hält Parteiversammlungen ab und aktiviert alte KP- Apparatschiks – eines von zahlreichen Druckmitteln, mit denen Belgrad Karadžić zur Annahme des Bosnien-Teilungsplans bringen will.

Nach einer Bestimmung des Plans soll der vertriebenen muslimischen Bevölkerung die Rückkehr ermöglicht werden. Aber wollen die jetzt hier lebenden Serben mit den muslimischen Nachbarn von früher zusammenleben? Das Ehepaar Mirković, geflohen aus Goražde, lebt in Višegrad im Haus eines geflohenen Muslim. Was sie tun würden, wenn der Alteigentümer eines Tages vor ihrer Tür steht? „Darüber denke ich nicht nach. Die können nicht mehr zurückkommen – dann wäre der Krieg ja umsonst gewesen“, sagen sie. „Wenn die zurückkommen, dann zünde ich mein Haus an und gehe weg“, sagt ein anderer. „Die sollen doch unterschreiben, was sie wollen.“ Karen Thürnau