Gegen den Landfrieden

■ Gestern starb Robert Jungk in Salzburg

Beim Vortrag der Professoren war Robert Jungk eingenickt. Das gestelzte Wort der Honoratioren und die aufgeplusterte Gebärde waren seine Sache nicht. Ihm ging es an diesem Nachmittag im Universitätsstädtchen Ilmenau um ein kleines Projekt, das die große Idee der Völkerfreundschaft mit Leben erfüllt. Die StudentInnen der TU hatten Kommilitonen aus 40 Ländern eingeladen, um mit ihnen über die Probleme der Welt zu diskutieren. Eine Handvoll junger Menschen hatte eine Idee, setzte sie mit viel Elan um und machte mit kleinem Budget eine Verständigung der Völker möglich. Die 300 jungen Leute, die im vergangenen Juni in Ilmenau zusammenkamen, verkörperten das, was den gestern in Salzburg gestorbenen Robert Jungk am Leben, an der politischen Arbeit gereizt hat: „Schöpferische Energie“.

Der Beginn seines politischen Lebens war beherrscht von der Auseinandersetzung mit dem Faschismus. Ihn zu bekämpfen war die wichtigste Aufgabe eines jungen Mannes aus jüdischem Elternhaus. Seine Waffe: das Wort und die Fähigkeit, Menschen zu packen. Dazu kam das nötige Quentchen Glück, um den Nazi-Schergen zu entgehen und den Abschiebern im Europa der 30er und 40er Jahre eine Nase zu drehen. Jungk war im März 1933 an der Humboldt-Universität beim Abreißen von Nazi-Plakaten erwischt worden – nur Tage nach dem Reichstagsbrand. Der knapp Zwanzigjährige entkam aber als armes Opfer eines in SA-Uniform gekleideten Rüpels aus dem Berliner Polizeipräsidium. Der ihn solchermaßen verkleidet durch die Tür ins Freie stieß, war Sven Schacht, Neffe des späteren Nazi-Finanzministers und Freund aus einer Gruppe linkspolitisierter Jugendlicher. Jungk emigrierte.

Das zweite Thema seines Lebens war der Aufstand des Gewissens gegen den technischen Wahnsinn, gegen das System von Hiroschima, Nagasaki und später Tschernobyl. Seine großen Bücher („Heller als tausend Sonnen“, „Der Atomstaat“) variierten es immer neu. Nur wenige haben über Jahrzehnte mit soviel Vehemenz gegen den Atomtod gestritten. „Macht kaputt, was euch kaputtmacht“, rief der schon 73jährige 1986 den Demonstranten vor der Atomfabrik in Hanau zu. „Volksverhetzung und Landfriedensbruch“, diagnostizierte der Staatsanwalt – doch nur das zweite stimmte. Robert Jungk wollte das Land nicht in Frieden lassen, solange das Land keinen Frieden bot.

Kämpferisch blieb er, aber je älter er wurde, desto wichtiger war ihm die Zukunft. Begonnen hatte diese Entwicklung schon in den sechziger Jahren, als aus dem Publizisten Jungk der Zukunftsforscher Jungk wurde – immer auf der Suche nach Hoffnungsschimmern, nach dem Zerfall der Machtstrukturen. Er konnte nicht zusehen, wie die Menschheit die Kurve nicht kriegt. Dabei setzte Jungk auf die Jugend. „Es gibt manche, die im Alter lernfähig sind, aber das ist sicher die Minderheit.“ Die Jungen aber lernen noch, „sehnen sich nach etwas, für das sie sich faszinieren können“. Robert Jungk war bemüht, ihnen ein Angebot zu machen. Hermann-Josef Tenhagen