Erotik

■ Fanny Müller: Die 13. Geschichte von Frau K.

ls ich letzte Woche runterging, um Frau K. die beiden Pakete vom Otto-Versand zu bringen, die bei mir abgegeben wurden, weil sie gerade mit ihrer perfiden Dackelin auf Einkaufstour war, öffnete sie erst beim dritten Klingeln.

„Ich mach grad Kaffee - wie sehn Sie denn aus, Kindchen - komm' Sie gleich ma rein!“

Sie humpelt in die Küche, ich hinterher.

„Mein Freund...“ beginne ich zaghaft. Frau K. winkt ab. Das wußte sie sowieso, der ist ja schon ewig nicht mehr dagewesen, oder?

Sie dreht das Gas unter dem pfeifenden Kessel ab. Trixi, das fette Stück, liegt auf einem der drei Küchenstühle und wirft mir einen haßerfüllten Blick zu.

„Mit Verrückten kann man nicht normal zusammenleben“, eröffnet K. das Gespräch und schneidet mit der Rosenschere den oberen Rand der Filtertüte ab. Sie hat die Tüten mal irgendwo dazugekriegt, und die passen nicht in ihren Filter.

„Aber ich hab ja gar nicht mit dem zusammenge...“. „Das ist egal!“, sagt Frau K. bestimmt und schüttet den Kaffee in die Tüte.

„Den ein' nehm' und den annern damit vorn Kopp haun, was, Trixi?“ Trixi ist desinteressiert; sie ist schon seit langem jenseits von Gut und Böse.

„Und was hat er angegeben?“, fragt Frau K. und fängt an, Wasser aufzugießen. „W e n n er überhaupt was angegeben hat“, setzt sie mit der Erfahrung ihrer 80 Jahre hinzu.

Ich beschließe, offen zu sein: „Er ist mit einer Nutte abgezogen, er sagte, er braucht mal...“

„Genau wie Jonni!“, schreit K. (Jonni wird in Hamburg so ausgesprochen wie es geschrieben wird, nicht etwas „Dschonni“).

Während Frau K. weiter Wasser nachgießt, setze ich mich möglichst weit entfernt von Trixi hin und höre zu, obwohl ich die Geschichte schon ein halbes Dutzend mal gehört habe.

Jonni, Frau K.'s Ehemann, als Soldat in Frankreich stationiert, hatte ihr 1943 geschrieben, sie möge ihn doch freigeben, er habe eine Französin getroffen und wisse jetzt endlich, was Liebe und Erotik sei. „Liebe und Erotik!“, sagt K. mit tiefer Verachtung und gießt den Kaffee in die Tassen. „Wir ham uns 1930 auf der Veddel im Arbeitersportverein kennengelernt. Da gab das sowas nich. Und in der Zeitung stand das auch nich. Und Fernseh kam ja erst später. Nehm' Sie Milch?“

1944 wurde Jonni dann gefangengenommen und nach Amerika ins Internierunslager gebracht.

„Da hatte sich das mit Liebe und Erotik!“, bemerkt K. triumphierend. „Und ,46 kam er dann wieder angekrochen. Da hatt' ich aber schon'n annern.“ Nach einer Pause und abwesend ihren Kaffee schlürfend setzt sie hinzu: „Das war aber auch so'n Dösbaddel. Den hab ich nach der Währungsreform weggejagt. Und denn ham wir das ganz nachgelassen, nich, Trixi?“

Trixi schnarcht bereits; außerdem dürfte zu diesem Zeitpunkt selbst ihre Urgroßmutter noch kaum das Licht der Welt erblickt haben.

Ganz nachgelassen? - Frau K. beobachtet meinen Gesichtsausdruck. Ein Gedankenblitz erleuchtet sie: „Heutzutage kann man ja auch lesbisch wer'n (Fernsehen erweitert den Horizont, da kann man sagen, was man will), denken Sie ma an Frollein Beckmann oben. Da denkt sich auch keiner mehr was bei.“

Nach kurzer Überlegung fügt sie jedoch hinzu: Die macht aber nie die Treppe. Und duhn ist die auch immer.“