Vagabund und Vortragender

Ein Vierteljahrhundert Reisefieber: „Catwiesel, der Landstreicher“ las in der Wärmestube Schöneberg aus seinen Geschichten von der Straße  ■ Von Frank Kempe

Mit dem früher nicht nur bei Kindern beliebten Zauberer „Catweazle“ aus der gleichnamigen TV-Serie hat Hans-Joachim Roßmann nur noch wenig Ähnlichkeit: Der einst zauselige Bart und die rotblonde Mähne sind gestutzt, zum blütenweißen T-Shirt trägt er, der einst durch sein eher schmuddeliges Outfit auffiel, eine frisch gebügelte Stoffhose. Man sieht und spürt es: Der 46jährige, den alle nur „Catwiesel, der Landstreicher“ nennen, hat das Reisefieber überwunden, das er rückblickend als „schlimme Krankheit“ sieht. Roßmann muß es wissen: Er war fast ein Vierteljahrhundert lang zu Fuß, mit dem Fahrrad oder per Anhalter in Deutschland und Europa unterwegs, bis ihn gleichsam über Nacht gekommener künstlerischer Erfolg seßhaft machte.

Den durfte der Buchautor, der sich vor mehr als einem Jahr in einer Bauernkate in einer niedersächsischen 300-Seelen-Gemeinde niederließ, am Donnerstag abend in der Wärmestube Schöneberg genießen, wo er vor etwa 30 Zuhörern seine Texte und Kurzgeschichten von der Straße vortrug. Eine Premiere in gleich zweifacher Hinsicht: er las zum ersten Mal in seiner Geburtsstadt und zugleich erstmals in einer Obdachloseneinrichtung.

Lautstark, mit zu Gesten weitausholenden Armen trug „Catwiesel“ die zu Papier gebrachten Beobachtungen aus seinem Vagabundenleben vor: Geschichten über sein „Verlierer“-Dasein und die Wut über diejenigen, die ihn, den lästigen Bettler, einfach übersehen. „Ich bin ganz unten“ oder „Das Leben tut so weh“ heißt es in diesen Geschichten oft. Andere Stories wiederum sprühen vor Freude an der Freiheit und der Nähe zur Natur. Aber auch anklagende, gesellschaftskritische Texte wie beispielsweise gegen den überbordenden Fernsehkonsum oder den ewigen Kaufrausch der Satten finden sich in seinem Oeuvre.

Mit der Schriftstellerei begann „Catwiesel“ vor genau zwölf Jahren, nachdem ihn ein Pastor mit Gespür für Schreibtalente immer wieder dazu ermuntert hatte: „Sturmgepeitscht, die Haare zerzaust, donnernde Wellen zum Deich – Winter, aber alles ist grün“, lauten die Eingangszeilen seines Erstlingswerks, das er mit „Eine Liebeserklärung an das Land Irgendwo“ betitelte.

Wie diesen schrieb er sämtliche Texte bei Wind und Wetter, oft kritzelte er sie mit klammen Fingern auf das Papier – auf Bänken in Bushaltestellen oder im Wald. Kein Wunder also, daß die Geschichten in der Regel auch nicht länger als eine Seite sind. Fünf Textsammlungen sind inzwischen von einem norddeutschen Kleinverlag veröffentlicht worden. Mit den Tantiemen hält Roßmann sich jetzt über Wasser. Die Nachfrage ist entgegen seiner Erwartung recht groß. Selbst von den Philippinen seien Exemplare geordert worden, erzählt Roßmann, und in seiner Stimme schwingt eine gehörige Portion Stolz mit. Die Karriere, davon ist er überzeugt, wäre allerdings ohne seine Amelie nicht möglich gewesen. Sie, die seit einem Jahr seine Lebensgefährtin ist, mußte ihm erst über den Weg laufen, ehe er das Fernweh bändigen konnte.

Gleichwohl ist „Catwiesel“ nicht zu einem Nesthocker geworden. Nach wie vor ist er ständig unterwegs, nicht als Trebegänger, sondern als Vortragsreisender: Sein Terminkalender ist fast vollständig ausgebucht.