Viele Menschen sind ein Mensch

■ Wohin treibt die soziale Plastik seit dem Tod von Joseph Beuys? Ein Gespräch mit dem Bildhauer Felix Droese

Felix Droese, 44, studierte von 1970 bis 1976 an der Kunstakademie Düsseldorf, zuerst bei Peter Brüning, dann bei Joseph Beuys. Bekannt wurde Droese durch seine großformatigen, lyrisch-abstrakten, archaisch und objekthaft wirkenden Zeichnungen und Holzschnitte, die er mit politischen, teils philosophiekritischen Titeln wie „Hunger“ (1980), „Jeder Buckel krümmt sich tiefer“ (1981) oder „Schöne Unschuld Hegel“ (1982) versah. Mit der Arbeit „Wir sind keine amerikanischen Lampenschirme“ war Droese 1984 auf der Biennale in Sydney vertreten, vier Jahre später verwandelte er während der Biennale in Venedig den deutschen Pavillon in ein hintersinnig-ironisches „Haus der Waffenlosigkeit“. Sein jüngstes Werk, die „Hölderlin-Säule“, ein sechs Meter langer, schwarz bemalter, in mehrere Einzelteile zersägter Baumstamm mit verschiedenen darin eingemeißelten Schlagworten, wurde im Frühjahr im Duisburger Wilhelm-Lembruck-Museum gezeigt und ist nun in der Berliner Galerie Klaus Fischer ausgestellt.

taz: Sie haben ihre neueste Arbeit Hölderlin-Säule genannt. Dabei hat der Name Hölderlin einen sehr ambivalenten Klang. Den Nazis galt Hölderlin als ein Paradebeispiel der deutschen Seele.

Droese: Hölderlin war in seinem Denken zutiefst antiideologisch. Daß er mißbraucht wurde, kann man ihm nicht so einfach anlasten. Nein, Hölderlin steht für die Frage „Wozu Kunst?“ Er war ja nicht nur Dichter, sondern hat auch über die Funktion von Dichtung nachgedacht. In „Brot und Wein“ gibt es eine berühmte Stelle, wo es heißt, „Wozu Dichter in dürftiger Zeit?“ Der Wolfgang Thierse gibt uns ja jetzt den guten Rat, die Autonomie der Kunst aufzugeben und endlich wieder so zu arbeiten, daß das Volk uns versteht.

Das sagt Wolfgang Thierse?

Ja, so frei übersetzt. Das hätten die Sozialdemokraten doch jetzt gerne. Aber auf dieses Niveau können wir uns jetzt leider nicht mehr absenken, weil die Autonomiefrage zur Kunstfrage und damit natürlich auch zur Menschlichkeitsfrage geworden ist. Hinter der Frage „Was ist Kunst?“ steht die Frage, „Was ist ein Mensch?“ Das beantwortet die Kunst, nicht die Politik.

Wie autonom ist Kunst heute?

Die ist so autonom, daß sie nur noch in sich selber den Adressaten findet. Und das genügt heute offenbar nicht mehr. Insofern hat der Beuys einen Schlußstrich gezogen und einen radikalen Schritt aus der Autonomie der Kunst angestrebt. Denn der Autonomiegedanke wird immer noch gleichgesetzt mit dem Freiheitsgedanken. Im Westen wurde das so ausgelegt, daß man das Recht hat, oder so frei ist, möglichst viel Geld zu verdienen.

Autonomie wäre demnach also ein kapitalistisches Prinzip?

Wir müssen die Kurve kriegen, weg von diesem sich wild gebärdenden Autonomiegedanken, den die Moderne freigesetzt hat, hin zu einer Wechselwirkung zwischen Individuum und Gesellschaft. Heute bildet sich ja ein Ich nicht mehr aus sich selbst, sondern durch die Kompilation von vielen verschiedenen Äußerlichkeiten, zum Beispiel in der Mode. Zu mir selber komme ich nur dann, wenn ich endlich mal aus mir heraustrete. Wenn ich endlich mal das mache, was in mir steckt, mein Vermögen zeige. Das ist ja die Formel, mit der der Beuys zum Schluß hantieren wollte. Das Vermögen, das Kapital der Menschen zu sehen. Die Forderung wäre, daß wir endlich einmal aufrecht stehend durchs Leben gehen. Also der schöne Blochsche Ansatz.

Welche Rolle spielt dabei der Begriff der nationalen Identität?

Die nationale Identität gibt es nicht mehr. Mittlerweile sind die Fremdenverkehrsvereine die größten Sponsoren in der Frage, „Wie können wir das Image des Deutschen im Ausland verbessern“. Da geht es doch nicht um so etwas wie die Nation, sondern um den Reibach. Das gleiche gilt für das Schlagwort „Wir sind ein Volk“. Das hätte eher heißen müssen „Wir wollen auch ans Geld“. Ans Geld, so die Überlegung, kommen wir aber nur über die ideologische Überhöhung, über die Nation. Nur so kommen wir an den Weststandard ran. Nicht mit der Badehose über Budapest, das war sozusagen die Rebellion.

Sie haben verschiedene Begriffe in die Säule eingehauen, unter anderem „Duisburger Armutszeugnis“. Wofür steht Duisburg?

Duisburg steht für die Strukturkrise, die wir derzeit erleben.

Ganz konkret.

Ganz konkret. Mannesmann war früher bekannt für die Ausbeutung der Erde im traditionellen Sinne, ist heute aber, wie das so heißt, innovativ, und jetzt führend tätig im Mobilfunk. Panasonic stellt ja nicht nur Radioapparate her, sondern auch Fahrräder. Und flexibel zu sein, bedeutet, daß ein Mensch, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, bereit sein muß, den und den und den Job zu machen. Seine Profession, seine Berufung, was der will, das spielt gar keine Rolle mehr.

Zur Biennale 1988 in Venedig haben sie das Haus der Waffenlosigkeit installiert. Kann Kunst eine Waffe sein?

Das wurde ja mal propagiert. Und es glauben immer noch viele, daß sie sehr weit kommen, wenn sie sich mit ihrer Kunst von der Macht gebrauchen lassen. Anstatt daß sie einsehen, daß Kunst mit der Machtfrage überhaupt nichts zu tun hat, sondern mit der Ohnmachtsfrage.

In Ihre Ausstellung bei Klaus Fischer haben sie einen Text von Blaise Pascal gehängt: „Über das Elend des Menschen“. Es geht darum, daß der Mensch in dem Dilemma steckt, weder seinen Ursprung noch sein Ende zu kennen. Ist das ein Kommentar zu ihrer eigenen persönlichen Lage als Künstler?

„Wir fliehen vor uns selber“, so formuliert es Pascal. Diese ganzen kulturellen Spagatübungen, die wir hier machen, dienen seiner Meinung nach dazu, uns von dem furchtbaren Problem abzulenken, daß der Tod nicht mehr eingebunden ist in unser Leben. Die Ratio verhindert offensichtlich, daß wir mit dem Tod umgehen können. Und das hat natürlich mit meinem eigenen Elend zu tun, generell mit dem Elend des Menschen, des Menschlichen. Was fehlt, ist die Übersinnlichkeit. Wobei es einfach wäre, Übersinnlichkeit als Mitmenschlichkeit zu interpretieren. Ein Mensch ist nicht nur ein Mensch, sondern natürlich auch zwei Mensch, drei Mensch, vier Mensch, viele Mensch. Viele Menschen sind wieder ein Mensch.

Die Rastafaris sagen, wenn sie „du und ich“ meinen, „I and I“.

Und das scheint eine ungeheuere soziale Sprengkraft darzustellen. Dieses geistige Vermögen, das dem Menschen riesige Energieströme zugeschanzt hat, mit denen er aber nicht fertig wird. Wir leben ja ständig unter der Atombombe, außer ich bin, wie Fassbinder, so frei zu sagen „Ich selbst bin die Atombombe“. Wir sind in der Lage, das ganze Ding auseinander zu sprengen. Aber nicht mit unserem Finger, so wie es Eduard Beaucamp meint mit seinem „Zurück zum Handwerk in der Kunst“. Nein, durch unsere geistige Potenz. Und das schafft unendliche Unruhe. Das läßt sich auch nicht so einfach harmonisieren. Dort eine Struktur zu finden, deswegen gibt es von Anbeginn des Menschen bis zu seinem Ende die Kunst. Interview: Ulrich Clewing

Die Installation „Hölderlin- Säule“ ist noch bis 23. 7. in der Galerie Klaus Fischer, Friedbergstraße 34 zu sehen.