Vorwärts in die prächtige Vergangenheit

■ Das ehemalige Diplomatenviertel im Tiergarten soll wieder genutzt werden

Die Abende müssen prächtig gewesen sein. Zuerst dinierte die Gesellschaft beim italienischen Botschafter Filippo Anfuso. Dann gingen die Damen auf einen Besuch zum spanischen Grande hinüber. Den Champagner tranken sie bei Hiroshi Oshima im Luftschutzkeller der japanischen Mission. Drinnen herrschte Bombenstimmung, als draußen gerade das Tausendjährige Reich unterging und Granaten ganze Teile der Gesandtschaften wegsprengten.

Von den megalomanen Bauphantasien Albert Speers ist heute kaum mehr als eine Ruinenwelt geblieben. Von den über zwanzig Botschaftsgebäuden des „Diplomatenviertels“ (Speer), deren Mehrzahl die Nazi-Baumeister Werner March, Friedrich Hetzel oder Ludwig Moshamer ab 1937 in den südlichen Tiergarten pflanzten, stehen nur noch die früheren Liegenschaften Jugoslawiens und Norwegens an der Rauchstraße. Halbverfallene Trutzburgen im Stil nationalsozialistischer Baugesinnung bilden die frühere Botschaft Dänemarks und der Franco- Palast an der Drakestraße. Beschädigt sind die faschokryptische italienische Botschaft und einstmals estnische Vertretung an der Tiergartenstraße. Künstlich und grell wie die Schminke der Damen des ältesten Gewerbes, die nachts vor dem Gebäude auf und ab schlendern, wirkt schließlich die Japanische Botschaft. Ihre Rekonstruktion 1988 verdeckt das wahre Alter und zugleich die Vergangenheit. Eine Renaissance des früheren Botschaftsviertels wird es nach dem Umzug der Missionen vom Rhein an die Spree nicht geben. „Unser Ziel ist, kein diplomatisches Ghetto im Tiergarten zu errichten“, erklärt Peter Syll von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. Die rund 140 Botschaften sollen vielmehr auf mehrere Standorte verteilt werden: in Zehlendorf, in Pankow und in der City. „Natürlich haben wir im Tiergarten eine gewisse Konzentration von Missionen“, räumt Syll ein. Aber außer den Botschaften sei vorgesehen, dort Verbände und Ländereinrichtungen anzusiedeln.

Für das neue Diplomatenviertel hat der Senat ein städtebauliches Konzept festgezurrt, das einen Wechsel zwischen Parkstreifen und Gebäudegruppen anstrebt. Am Reichpietschufer dürfen die Häuser bis 22 Meter hoch gebaut werden. „An der Tiergartenstraße soll sich die Traufhöhe vermindern und die geplante dichte Bebauung auflockern“, so Syll. An ihre früheren Wirkungsstätten zurück kehren Spanien, Italien, Japan, Griechenland und Estland. Auf das teure Gelände an der Tiergartenstraße, das dem Bund und auch dem Land Berlin gehört, drängt es noch die Türkei und Österreich, Ägypten, Südafrika und Argentinien. Als sicher gilt, daß die „Nordländer“ Dänemark, Schweden, Finnland und Norwegen sich ein modernes Botschaftsensemble am Klingelhöfer Dreieck errichten wollen. Dann herrscht wieder Bombenstimmung, nur friedlicher. Rolf Lautenschläger