■ Besetzer fordern ...
: Nie wieder Sex in Friedrichshain!

Kluge Philantropen behaupten gerne, wir lebten in einer Lustgesellschaft. Sie verweisen auf die Gaußsche Normalverteilung gastritiöser Lusttöter und spannhäutiger Lustbringer und führen zur Begründung die klassenschrankengrenzenlose Lust auf alles an, was die Postmoderne von der Prähistorie unterscheide. Das mithin einzige Bestreben des Menschen bestünde darin, seine Lust zu steigern.

Weniger kluge Philantropen unterscheiden sich von den klugen durch ihre Lustlosigkeit. Sie mahnen mit ernster Miene, den Lustdiskurs nicht aus seiner materialistischen Begründung zu entlassen. Niemals sei Lust nur friedlich, genausowenig, wie die Lust des Kapitalisten identisch sei mit der Lust der Unterdrückten. Weniger kluge Philantropen behaupten gerne, wir lebten in einer Frustgesellschaft. Das mithin einzige Bestreben des Menschen bestünde darin, den Frust nicht zu mehren.

Die dümmsten Philantropen gibt es im X-B-Liebig, einer Besetzerkneipe in Friedrichshain. Dort sollte vor geraumer Zeit ein Kondom-Automat aufgestellt werden. Weniger wegen drohender Schwangerschaften, sondern wegen drohender Kaposi-Flecken und partieller Amnesie. Alles kam freilich anders und die Friedrichshainer BesetzerInnen stellten einmal mehr unter Beweis, daß man sich ein Philantropes Defektsyndrom auch einfangen kann, wenn man es nicht nur mit dem Vögeln, sondern auch mit der political correctness zu weit treibt. Kein Gummispender, forderte jedenfalls die Mehrheit des Kneipenplenums und verwies in gewohnter Stringenz auf den patriarchalen Begründungszusammenhang jener Automat(ism)en. Die pure Existenz der Präser berge in sich nämlich die Gefahr, daß sich der Druck auf die Frauen erhöhe, einem Geschlechtsakt zuzustimmen, und mithin also auch das Risiko, auf besondere Weise entmündigt zu werden. Außerdem sei, hieß es offenbar im Zusammenhang um die Euro-Debatte um des Präsers Länge weiter, ein Kondom auch ein Ausdruck der Penisfixiertheit patriarchal verfaßter Gesellschaften.

Und mithin, ergänzen wir hier gerne, die verlängerte, sprich erigierte Fortsetzung des Kriegs mit anderen Mitteln. Da hilft nur ein päpstlicher Rat: Von Friedrichshainer Boden darf nie wieder Sex ausgehen! Wer keine Stimme hat, soll enthaltsam sein. Lüstern ist nicht die Steigerung von Lust, sondern von düstern, die Klimax von Lust ist lustig. Der Tante-Emma-Preis dem X-B-Liebig. Uwe Rada