„Ich bewundere Sie“

■ Ein offener Brief von Elfriede Jelinek an Taslima Nasrin, die sich in ihrer Heimat Bangladesch verstecken muß

Liebe Taslima Nasrin!

Offenkundig wird schon wieder eine schöne große Religion bedroht, und zwar von Ihnen, Taslima, wie ich höre. Da kann man doch nicht hinter einem Busch hervorspringen und Buh! schreien, die Religion erschrickt so leicht, und es wollen doch noch mehr Kinder mit ihr spielen! Ich selbst habe schon oft meine – ehemalige – Religion, das römisch-katholische Christentum, das sich auf viele gute Menschen berufen kann, beleidigt (nur manchmal haben sie ein paar Leute ein wenig angezündet, aber das ist lange her, und es scheint genügend Menschen als Zündstoff gegeben zu haben, der Beweis: es gibt ja immer noch welche!), aber dieser gequälte, gekreuzigte Gott, den wir haben, scheint die Leute, die sich auf ihn berufen, gar nicht mehr wiedererkennen zu können, wenn er von hoch droben auf sie hinunterschaut. Er hat sie so nicht gewollt, so nicht geschaffen, und daher hat auch er nichts mehr mit ihnen zu schaffen.

In Ihrem Land, liebe Taslima, scheint es genügend Menschen zu geben – wir wissen, es ist so –, daß dieses Land auf Menschen wie Sie verzichten zu können glaubt. Eine weniger, das fällt gar nicht auf, und sie hat ja unsere Religion geschmäht, die von Millionen von Männern auf den Schultern und Millionen von Frauen auf den gebeugten Rücken getragen wird. Es wird auch dieser Religion nicht auffallen, wenn eine Frau unter dem Koloß, dem Popanz weggestoßen wird, es ist ja nicht so, daß er dann hinken müßte, er könnte zum Beispiel bequem im Auto weiterfahren, das dürfen Frauen wie Sie, Taslima, in manchen Ländern, wo der Popanz regiert, gar nicht. Aber ich behaupte doch: Wenn Ihnen ein Leid zugefügt würde, dann würde auch Ihre Religion, die Sie zu Recht als Unterdrückungsinstrument anprangern, zusammenkrachen wie ein kaputtes Gerüst. Nicht gleich, nicht heute, nicht morgen, aber irgendwann würde das Fehlen von Leuten wie Ihnen, wie Salman und viele andere bewirken, daß all die Millionen von Rechtgläubigen unter dem Gestell begraben wären, und dann erst würden sie merken, daß es eine federleichte Eierschale gewesen ist, unter der sie sich so sehr zusammengeduckt haben die einen, auf Stelzen erhoben, ohne je ihrem Vater Mohammed an den Scheitel zu gehen, die anderen. Der Koran ist das Buch der Wahrheit? Das kann er nicht sein. Die Sphäre, die höher ist, als die des Menschen, diese ist der Gott, sagt einer unserer Dichter, Hölderlin. Und der Eine weiß nichts von den anderen, und die anderen können im Namen des Einen nicht sprechen. Und die Männer des Islam, von dem sie behaupten, daß er ihnen, und nur ihnen, alle Macht in die Hände gegeben habe, werden einmal merken, daß nur sie selbst es sind, die sich zerstört haben, da sie sich geweigert haben, die Frauen als ihnen Gleiche neben sich hergehen zu lassen.

Zurück in die moderne Welt, in der wir das Sagen haben: Auf den Datenautobahnen des Internets gleiten sie jetzt auf lichtschnellen Rollschuhen dahin, Menschen, die denken. Es kostet faktisch gar nichts. In vielen Foren, feministischen unter anderen, sprechen sie über Sie, liebe Taslima. Moderne Tänzer rasen mit ihren (rasch hingetippten) Gedanken die Wege entlang, sprechen über Sie, hier habe ich einen, der heißt Naunihal Singh, ich weiß nicht ob Mann oder Frau, er, sie kommt aus der Yale University einhergetänzelt und fragt, warum Indien Ihnen nicht hilft zu fliehen (why not RAW help her to flee, surely they know all the ways in and out of B'Desh. That is a great idea!), und giftig merkt der Schreiber noch an, daß er so etwas nicht für realistisch halte, da RAW und seine Leute wahrscheinlich zu sehr damit beschäftigt seien „torturing little children somewhere to get involved with this“. Eine Stimme, die auf dem gigantischen Marktplatz spricht, der unsere, auch Ihre Welt ist, liebe Taslima, denn unsere Gedanken sind nicht nur frei, sie können auch hinlaufen wohin immer sie wollen, sie können sich auf die Marktstände legen, sich betasten und aufnehmen oder wieder zurücklegen lassen, weil sie noch nicht reif sind. Aber sie stehen uns allen zur freien Entnahme zur Verfügung. Und wenn jemand ein paar faulige hinwirft, wenn rassistische oder menschenverachtende Äußerungen getan werden, dann können Sie sicher sein, daß sofort ein Schwarm glitzernder Killerfische startet, ihn einkreisen und nach seinen Fersen schnappen wird. Der Markt reguliert sich selbst. Das Netz steht allen gleichermaßen offen, die etwas sagen wollen. Und in einer Zeit, da wir längst alle verbunden sind, da wir längst alles sagen dürfen und können, soll Ihnen Ihr Sagen und damit Ihr Leben (also Denken und Leben sind eins!) abgeschnitten, beendet werden. Und das ist über Sie, über Salman und andere verhängt worden von ernsten bärtigen krawattenlosen Männern. Sie kennen sich seit uralten Zeiten aus auf dem Basar, alte Handelsvölker, die sie sind, und so haben sie natürlich auch die ihnen streng verbotenen Dinge unter ihren Ladentischen versteckt, die Pornovideos und was es sonst noch alles gibt. Wenn genug bezahlt wird, wird einfach jede verbotene Ware unter dem Ladentisch feilgeboten, da bin ich mir ganz sicher.

Sie, meine liebe Freundin (ich hoffe, ich darf Sie so nennen?), haben unter dem Ladentisch kein Zweitleben versteckt, Sie haben nur das eine, und das haben Sie ihnen jetzt hingeworfen. Aber zu verkaufen ist es nicht, auch nicht wenn ein Preis drauf ausgesetzt ist. Der Preis für unseren Gott hier hat damals dreißig Silberlinge betragen. Wieviel wäre das in heutiger harter Währung? Sie, Taslima, sind in jedem Fall viel teurer. Sie sind gar nicht zu bezahlen! Ich bewundere Sie. Was Sie sagen, ist wahr. Ich sage das hier. Ich habe das Recht es, alles zu sagen. Ich wünsche Ihnen Glück und umarme Sie. Gott, wer immer das ist, aber er muß wer sein, da man so viel von ihm spricht, schütze Sie!

Ihre

Elfriede Jelinek

Elfriede Jelinek lebt in Wien und München. Sie schrieb Romane und andere Prosastücke („Die Liebhaberinnen“, „Die Klavierspielerin“, „Lust“, „Oh Wildnis, oh Schutz vor ihr“), aber auch Hörspiele und Theaterstücke („Clara S.“, „Was geschah, nachdem Nora ihren Mann verlassen hatte“, „Burgtheater“), alle erschienen im Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg.