Wenn das Warzenschwein über den linken Flügel kommt

Nach langem Suchen ward sie gefunden: In den USA gibt es seit zwei Jahren eine Fußballiga – mit Luftschlangen, Videos und Kinderballett  ■ Aus Washington Andrea Böhm

Es gibt solche und andere Warzenschweine. Manche schnüffeln, grunzen und traben durch den Wald; manche brüllen den Schiedsrichter an, treten Lederbälle und laufen auf Kunstrasen. Der Himmel weiß, warum Abe Pollin, Washingtons Sportmogul und Eigentümer der „Bullets“ (Basketball) und „Capitols“ (Eishockey), seine jüngste Errungenschaft, ein Fußballteam, „Washington Warthogs“ getauft hat.

Aber nun ist es passiert, und nun muß das arme Schwein, das den Job als Vereinsmaskottchen einnimmt, bei jedem Heimspiel im wuchtigen Kostüm eines Warzenschweins über das Spielfeld hüpfen, während seine Helfer in Tropenanzügen mit Gummischleudern Luftschlangen und T-Shirts in die Tribünen schießen, weswegen der Vater in der dritten Reihe seinen Sprößling Joey ausschimpft, weil der vor lauter Bewunderung für das hüpfende Warzenschwein und die Luftschlangen das Ketchup aus seinem „Super Hot dog“ über sein wunderschönes Fußballtrikot in den brasilianischen Landesfarben verteilt hat.

Warum Warzenschweine gewinnen

Nein, wir befinden uns nicht auf einem Kindergeburtstag. Wir befinden uns im ersten Viertel des Hallenfußballspiels zwischen den „Washington Warthogs“ und den hoch favorisierten Gastgebern aus Texas, den „Dallas Sidekicks“. Die Warzenschweine werden dieses Spiel gewinnen; aber das ist, ehrlich gesagt, für die Zuschauer nicht so wichtig, weil gerade wieder das Warzenschwein-Maskottchen durch die Zuschauerreihen hüpft und jeden einlädt, ein paar Holzringe auf seine Stoßzähne zu werfen.

Joey, paß bloß auf Deine Cola auf!

Fußball auf dem großen Rasen bei frischer Luft mit 22 Spielern und zwei Halbzeiten – das ist für den amerikanischen Geschmack langweilig. Zuviel Gerenne, zuwenig Tore für die ergebnisorientierte Sportgemeinde, zuviel Zeitschinderei – und dann noch ein Schiedsrichter, der wie ein Feudalherr über Nachspielzeit entscheiden darf. Also führte man vor sechzehn Jahren, die „Major Indoor Soccer League“ (MSL) ein – mit dem unbescheidenen Anspruch, Hallenfußball nach Football, Baseball, Basketball und Eishockey zur fünftgrößten Mannschaftssportart zu machen.

Wie im Basketball ist die Spielzeit in vier Abschnitte à 15 Minuten unterteilt; Spieler können im fliegenden Wechsel eingesetzt werden; es wird die Realspielzeit gestoppt; wie im Eishockey gibt es eine Strafbank und einen Penalty an Stelle eines Elfmeters. Und wie im Eishockey und Basketball stehen die Trainer in Schlips und Jackett hinter der Bande.

Trotz aller Anpassungsversuche an die Konkurrenten unterm Korb und auf dem Eis war die Pleite des Unternehmens bald abzusehen: Die Spielzeit lag im Winter – und damit in Konkurrenz zur Eishockey- und Basketballsaison. Und zu allem Überfluß hatte sich ein Konkurrenzbetrieb gegründet. 1992 gingen bei der MSL die Lichter aus. Ein Jahr später erstand sie als „Continental Indoor Soccer League“ (CISL) wieder auf.

Die Liste der Mannschaften liest sich wie eine Mischung aus Faschingsvereinen und Streetgangs: Da spielen die „Sandhaie“ aus Arizona gegen die „Vipern“ aus North Carolina, die „Staubteufel“ aus Las Vegas gegen die „Ritter“ aus Sacramento, die „Grizzlies“ aus San José gegen die „Hotshots“ aus Houston.

Die „Warzenschweine“ aus der Hauptstadt sind das jüngste Mitglied der Liga – und sie können eine revolutionäre Neuheit aufweisen: In ihrer Mannschaft spielt eine Frau, Colette Cunningham, eine 23jährige Stürmerin aus Virginia. Bloß muß sie dieses Mal auf der Bank schmoren. Auf dem Spielfeld hat das „Warzenschwein“ mit der Nummer fünf nach einem schönen Doppelpaß mit der Bande gerade das 4:3 erzielt. Aus den Boxen dröhnt das martialische Geheule von einem Dutzend Alarmanlagen, bis schließlich Freddy Mercury die akkustische Regie übernimmt, die Teams mit „We are the champions“ in die Pause geleitet.

Ein gigantischer Kindergeburtstag

Zeit für das Maskottchen und das Kinderballett: Mädchen aus den umliegenden „Soccer“-Clubs dürfen zur Freude der mit Videokameras bestückten Eltern „cheerleader“ imitieren – und dann auf die Torwand schießen. Da steht groß „Toyota“ drauf, und wer gewinnen will, muß eines der beiden Os treffen.

Immerhin 9.000 Zuschauer, die Hälfte jünger als zwölf Jahre, verteilen sich auf die rund 20.000 Sitze der „US Air Arena“, in der sonst die „Washington Bullets“ ihre Gegner aus der Basketballiga empfangen, und die „Capitols“ ihre Heimspiele in der „National Hockey League“ austragen.

Inzwischen sind die „Warzenschweine“ in Rückstand geraten, was die Zuschauer wiederum nicht so recht bemerkt haben, weil die Daddies, Mommies, Krissies und Joeys gerade mit „La ola“ beschäftigt sind. Also heizen die Veranstalter die Stimmung ein wenig an. Über die Lautsprecher dröhnt „We will rock you“; auf dem Videowürfel unter der Stadiondecke stampfen, aus Hollywood-Schinken zusammengeschnitten, abwechselnd King Kong und Tyrannosaurus Rex im Takt.

Irgendwie scheint es zu helfen: Ein „Warzenschwein“ namens Denison Cabral schießt ein Tor und vollführt als Zugabe zwei Saltos, bevor er den Ball als PR-Geschenk in die Fan-Kurve ballert.

Jetzt möchten Sie noch wissen, wie das Spiel war? Viel habe ich nicht gesehen zwischen all den Luftschlangen, Stoßzähnen und Olas. Das, was ich gesehen habe, war eben Hallenfußball. Zwölf Spieler, die auf einem viel zu kleinem Feld bei künstlicher Beleuchtung viel zu hektisch hin und her rennen. Aber Joey und den anderen Kids hat es gefallen. Und vielleicht liegt darin die Zukunftsperspektive des amerikanischen Fußballs: im geschlossenen Raum.

Dem Spiel auf echtem grünen Rasen scheinen die Offiziellen nicht viel Chancen zu geben: Im „Giants“-Stadion in New Jersey, wo zuletzt Roberto Baggio gegen Bulgarien gezaubert hat, bis es ihm im Oberschenkelmuskel zwickte, wurde am Donnerstag der Fußballrasen versteigert.