■ Der bewußt herbeigeführte Konflikt mit der Justiz soll Berlusconi die Reste des alten Regimes zutreiben
: Italiens alte Nomenklatura am Ziel

Das Timing ist perfekt, wer würde es bei einem vom Schlage Berlusconis anders erwarten: Während alle Welt aufs WM-Finale starrt und der Rest im Wasser Abkühlung sucht, erläßt die Regierung ein Dekret, mit dem sämtliche der Korruption und Bestechlichkeit angeklagten Manager und Politiker sofort zu entlassen sind. Der Dekretweg sichert, daß die neue Norm sofort und ohne parlamentarische Diskussion in Kraft tritt.

Natürlich gab es keinerlei Grund, die faktische Aussetzung der U-Haft – über die man füglich diskutieren kann – gerade jetzt durchzusetzen; die von Justizminister Biondi geltend gemachten EU-Normen sind seit Jahren bekannt, die Regierung Berlusconi amtiert seit einem Vierteljahr, man hätte sie in normalen Gesetzgebungsverfahren durchführen können. Doch darum ging es gar nicht, ganz im Gegenteil.

Tatsächlich wird die Änderung, so wie sie nun gelten soll, keine parlamentarische Mehrheit bekommen, wenn sie, wie bei Dekreten vorgeschrieben, innerhalb von drei Monaten Senat und Abgeordnetenhaus zur Prüfung vorgelegt werden muß; und das weiß Berlusconi ebenso wie sein Justizminister. Selbst Koalitionspolitiker sind strikt gegen eine Befreiung von der U-Haft, die präzise auf Manager und Politiker zugeschnitten ist. Doch bis das Parlament sein Nein ausspricht, gilt das Dekret. Die Manager und Politiker kommen frei und können dann endlich das tun, was ihnen die Staatsanwälte bisher erfolgreich verwehrt haben: systematisch Beweise vernichten und Zeugen manipulieren; so wie es vordem war, als sich die Ermittler die Großmächtigen noch nicht einzusperren getrauten.

Berlusconi riskiert einen mächtigen Verfassungskonflikt, zu dem der Rücktritt der Staatsanwälte aus der Sonderkommission „Mani pulite“ nur das Vorspiel ist. Doch in seiner unnachahmlichen Güterabwägung ist Berlusconi zu der Überzeugung gekommen, daß die Sache für ihn in jedem Fall Sinn macht.

Mit der Haftverschonung und der damit wiederhergestellten praktischen Unantastbarkeit der Politiker werden sich ihm auch jene Teile des alten Regimes zuwenden, die ihn bisher bekämpft hatten, weil sie ihn als einen der Promoter ihrer Entmachtung angesehen haben. Damit aber wird Berlusconi erneut gestärkt, die Opposition weiter gespalten.

Spannend ist angesichts all dessen nur noch eine Frage: Ob die Gesellschaft heute bereits so lethargisch und berlusconianisch geworden ist, daß es sich die erneute Unberührbarkeit der Mächtigen einfach gefallen läßt, oder ob es noch einmal ein Aufbäumen gibt, das auch Berlusconi noch gefährlich werden könnte. Werner Raith, Rom