■ Ökolumne: Arbeitsteilung Von Bernhard Weßling
Nach zehn Jahren heftiger Debatte um die richtige Chemiepolitik für die Bundesrepublik streiten sich Unternehmer, Umweltverbände und Behörden noch immer vor allem darüber, ob und wie Chemiebetriebe ihre Produkte ohne rauchende Schornsteine und stinkende Abwasserrohre, vor allem aber ohne viel Gift herstellen können. Immer noch dirigiert dabei fast ausschließlich der subjektive Blickwinkel der derzeit lebenden Menschen die Positionen von Unternehmen, Umweltschützern und Politikern.
Ich bin selbst Chemieunternehmer. Zipperling Kessler & Co, dessen geschäftsführender Gesellschafter ich bin, produziert Konzentrate für die kunststofferzeugende und die kunststoffverarbeitende Industrie. Wir liefern unter anderem an die Bauindustrie, den Maschinen- und Fahrzeugbau und die elektrotechnische Industrie. Mit etwa 20.000 Tonnen im Jahr sind wir das größte konzernunabhängige Unternehmen dieser Art in Europa.
Selbstverständlich gilt auch für unsere Firma: In der Produktion und im Verbrauch müssen akute und chronische Gifte vermieden beziehungsweise minimiert werden. Aber als innovativer Unternehmer und Mitglied eines Umweltverbandes, des Naturschutzbundes (Nabu), weiß ich: Wenn zukünftige Generationen eine Chance haben sollen, darf dies und kann dies nur Teil einer integrierten Umweltpolitik sein. Wir kommen um die absolute Senkung unseres derzeitigen Verbrauchs an Umweltgütern aller Art nicht herum. Von einer solchen Politik aber sind wir meilenweit entfernt.
In der Abstraktion sind die Anforderungen klar. Es gilt, im Konsum und bei den dafür erforderlichen Produktionen und Dienstleistungen mit so wenig Energie, Stoffumsatz, Wasser, Luft und Naturfläche auszukommen wie nur irgendmöglich. Nur so können auch nachfolgende Generationen auf dieser Erde noch ein menschenwürdiges und kulturvolles Leben führen.
Neudeutsch gesagt, unsere Art zu Leben muß sustainable werden. Die Industriegesellschaft heutigen Zuschnitts muß sich zu einer nachhaltig lebenden und wirtschaftenden entwickeln. Nachhaltig heißt: Global darf nicht mehr Entropie produziert werden als im Gefolge der Solarenergieeinstrahlung ohnehin produziert wird. Diese Entropieproduktion korreliert direkt mit den von uns verursachten Energie- und Stoffströmen. Insofern wäre es unsere erste Aufgabe, den Verbrauch an Umweltgütern (Energie, Rohstoffe, Boden, Wasser, Luft, Naturfläche) um den Faktor zehn zu senken, also von heute hundert auf zehn Prozent.
Jeder muß seinen Teil dazu tun. Ich plädiere für eine gescheite Arbeitsteilung: Als Unternehmer und Wissenschaftler fühle ich mich dazu verpflichtet, Technologien, Stoffe oder ganze Systeme zu entwickeln und zu vermarkten, mit denen auf jedem Niveau des gesellschatlichen Konsums ein nachgefragtes Produkt, eine nachgefragte Dienstleistung mit deutlich weniger Verbrauch an Energie, Stoffen und anderen Umweltgütern befriedigt werden kann.
Das reicht aber nicht. Die anderen Akteure müssen am gleichen Strick ziehen, neue Wege müssen gefunden und beschritten werden. Die Umweltverbände und Umweltengagierte dürfen sich künftig nicht mehr im Protestieren und Kritisieren, im Kläffen und Beißen erschöpfen. Auch sie haben eine Verantwortung.
Die heutige Gesellschaft und die den gesellschaftlichen Bedarf deckenden Unternehmen sind in einer Wirtschaftsstruktur eingebunden, die global nur funktioniert, wenn es global Wachstum gibt. Wir alle wissen, daß eine nachhaltige Wirtschaft sich nicht mit Wachstum vertragen wird.
Wie aber eine nachhaltige Wirtschaft (nachhaltig entsprechend der Entropiedefinition) ohne Wachstum aussehen kann, wie die sozialen Beziehungen aussehen, welche Arbeitsplätze zur Verfügung stehen und vor allem, wie wir uns aus der derzeitigen Wachstumsgesellschaft in eine nicht wachsende nachhaltige Gesellschaft hineinentwickeln wollen – das zu erarbeiten, halte ich für die Aufgabe der Umweltverbände.
Zumindest müssen sie die Initiative ergreifen und die ersten seriösen Entwürfe vorlegen; Wolkenkuckucksheime helfen nicht weiter. Gerne sind engagierte Unternehmer wie ich bereit, an den Entwürfen solcher Konzepte mitzuarbeiten.
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