Authentische Kunstwelt

■ Brooklyn in Hamburg: Ein Drehtag im Studio Hamburg zum Film „Someone Else's America“

Langsam schwebt das Weiß durch das gleißende Licht der Scheinwerfer: Bei 25 Grad Celsius im Schatten brauchen Schneeflocken etwas länger, bis sie den Boden erreicht haben. Bei genauerem Hinsehen entpuppt sich der vermeintliche Schnee dann auch als banaler Schaum. „Das sieht man nachher aber nicht“, erklärt Miki Manojlovic. Der Charakterkopf spielt die Hauptrolle in dem Kinofilm „Someone Else–s America“, der seit vier Wochen im Studio Hamburg gedreht wird. Am vergangenen Freitag fiel die letzte Klappe der zehn Millionen Mark teuren deutsch-englisch-französisch-griechischen-Koproduktion. Runde 500.000 Mark steuerte das Hamburger Filmbüro, eine Million Mark der Hamburger Filmfond bei.

Unter der Regie des Belgraders Goran Paskaljevic entstand eine Geschichte aus dem Leben zweier New York-Immigranten: Die des Spaniers Alonso (Tom Conti) und des Montenegriners Bayo (Miki Manojlovic). Eine Tragikomödie. Vom Wirtschaftswunderland Amerika angezogen, lernen die beiden schnell die Schattenseiten der „freien Marktwirtschaft“ kennen. Bayo, seit vier Jahren in den USA, hat noch immer keine Aufenthaltsgenehmigung. Er macht zusammen mit anderen illegalen Einwanderern gefährliche Drecksarbeit unter hoher Gesundheitsgefährdung. Alonso, der sich mit Liebesproblemen herumschlägt, hat es während 15 Jahren zu einer bescheidenen Bar in Brooklyn gebracht.

In „Bild 4“ des Drehbuchs beschreibt Autor Gordan Mihic wie er sich die Umgebung von Alonsos Bar vorstellt: „Außen – Rückseite der Paradiso Bar. Brooklyn. Nacht. Hinter einem einstöckigen Gebäude aus schmutzigen Backsteinen mit dem Schild „Paradiso Bar“ sehen wir einen noch schmutzigeren Hinterhof, voller alter Barhocker, eine ausrangierte Coffeeshop-Theke und anderem Sperrmüll.“

Im Atelier 3 steht er dann tatsächlich, der Hinterhof und ein Teil Brooklyns. Ganze Straßenzüge haben die Werkstätten des Studio Hamburg gebaut. „Wir hatten sogar einen echten New Yorker Graffiti-Sprayer hier“, sagt stolz die deutsche Produzentin des Streifens von der Hamburger „Lichtblick Filmproduktion“, Helga Bähr. Bis ins kleinste Detail wurde auf Authentizität geachtet. Häuserfronten mit Feuerleitern, ein echtes „Checker-Cab“-Taxi, Hydranten (allerdings aus Styropor), Verkehrsschilder – alles so echt wie möglich. „Junk-Food“ und Getränke wurden sogar eigens aus den USA besorgt. „Es ist extra jemand rübergeflogen, der die Aufgabe hatte, Gebrauchsgegenstände und so weiter zu besorgen“, erklärt Frau Bähr. Ein ganzer Container sei so zusammengekommen. Auf einem Tisch in Alonsos Wohnzimmer stehen einige der amerikanischen Bierflaschen. In einer steckt ein Trichter, daneben eine Flasche „Jever Fun“ – alkoholfreies Bier. Die Authentizität hat eben auch ihre Grenzen.

Bild 99A steht am Freitag auf dem Plan. Mihic schreibt in seinem Drehbuch: „Außen/Innen. Paradiso Bar. Nacht. Alonso bezahlt einen Taxifahrer. Er hat eine Ledertasche in der Hand. Er betritt die Bar und geht durch die leere Bar hindurch in den Hof.“ Eigentlich ganz einfach, wären da nicht noch ein paar Gemeinheiten. Da ist zum Beispiel das Licht. Viele Szenen wurden an Originalschauplätzen in New York gedreht, da darf das Licht im Studio nicht anders sein. An dem Ford „Pick up“, der im Hinterhof der Paradiso Bar steht, experimentieren die Beleuchter des Studio Hamburg fast eine Stunde herum, bis sie zufrieden sind. Auch der Weg Alonsos wurde geändert, er geht nun die Seitenstraße bis zum Hinterhof hinunter. Richtige Schwierigkeiten macht der „Schnee“, der auch nicht im Drehbuch steht.

Mal funktionieren die Schneekanonen überhaupt nicht, dann wieder zu stark oder zu wenig oder nicht in der richtigen Reihenfolge. Kameramann Georgios „Yorgos“ Arvanitis fühlt sich „verschaukelt“. Lautstark gibt er in seinem Englisch-Französisch-Gemisch der Münchner Firma für Spezialeffekte die Schuld. Regieassistent Vladimir Torbica muß vermittelnd eingreifen, übersetzt. Yorgos glaubt, die Kanonen seien verstellt worden. Die Bayern bestreiten das. Letztendlich steigt einer der Männer auf die Leiter, eine Schneemaschine wird ein Stück zur Seite bewegt, Yorgos ist zufrieden.

So geht Tom Conti alias Alonso zum siebten Mal die Seitenstraße hinunter. Im Hintergrund fährt das Taxi weg, Schnee fällt. Alonso stößt das Maschendrahttor auf, geht auf den Hinterhof, stellt den Koffer ab und ruft: „Bayo! Ey Bayo!!“

Nach über zwei Stunden ist diese vorletzte Szene endlich im Kasten, es geht zum Mittag wo es zum Nachtisch richtiges Eis gibt. Abkühlung hat der „Schnee“ nämlich nicht gebracht, nur ein wenig Badeschaum auf falschen Straßen in einer künstlichen Welt.

Andrew Ruch

Bundesweiter Kinostart im Frühjahr –95