Palaver in der Deichtorkuppel

■ Stadtentwicklung: Expansion oder Integration? Von Florian Marten

Soll Hamburg um (fast) jeden Preis expandieren, um seine Chancen im internationalen Wettbewerb optimal zu nutzen? Oder soll es auf eine sanfte Entwicklung setzen, die ökologische und soziale Fragen stärker betont als die weltwirtschaftliche Standortschlacht? Deichtor-Meetings und kein Ende: Schon wieder nette kluge Menschen, italienisches Fladenbrot, softe Gruppenmoderatoren, gut gemeinte Wortbeiträge, inhaltsschwangere Fremdworte, weiße Wände und fleischarmes Büffet. Am Freitagabend hatten die Stadtentwicklungs-behörde (Steb) und ihr Chef Thomas Mirow gut 200 Menschen zum großen Stadtpalaver geladen.

Thema: Zwei alternative Stadt-entwicklungs-Strategien, das von der Mehrzahl der Steb-MitarbeiterInnen favorisierte „Integrationsszenario“ (sanfte Entwicklung per Verdichtung) und das „Expansionsszenario“, eine knallige Wachstumsstrategie, die Voscheraus Standortpolitik entspricht und mit Großprojekten und Flächenfraß Hamburg im internationalen Wettbewerb positionieren soll.

Die vielköpfige Palaverschar durfte sich im Wechselbad von Kleingruppenarbeit, Kurzvorträgen und Plenumsdiskussionen einbringen – die Steb-MitarbeiterInnen notierten fleißig mit. Zu großen Kontroversen kam es nicht. Lob fürs Verfahren, Verständnisfragen und Hinweise auf Lücken hielten sich die Waage. Die häufigste Frage aber lautete: „Was soll's?“ Welche Rolle sollen die Szenarien in der konkreten Stadtpolitik spielen? Thomas Mirows eindeutige Antwort: In den kommenden Monaten will die Steb auf der Basis der Szenarien ein Leitbild für die Entwicklung Hamburgs basteln, welches den parallel entstehenden nagelneuen Flächennutzungsplan bestimmen soll. Die Szenariendebatte bestimmt damit mit, ob Hamburg die Stadtbahn oder den Transrapid bekommt, ob zwischen Bergedorf und Billstedt ein neues Industriegebiet oder Landschaftsschutz Vorrang hat, ob Hauptverkehrsstraßen zurückgebaut oder Stadtautobahnen ausgebaut werden. Mirow kündigte an, noch in dieser Legislaturperiode zu einem „politischen Entschluß“ über Flächennutzungsplan und Leitbild zu kommen.

Als Hamburgs erste Steb-Senatorin Traute Müller 1992 eine zehnköpfige Arbeitsgruppe „Stadtentwicklungskonzept“ (Stek) installierte, sah die Zielsetzung noch ein wenig anders aus: Im Dialog mit der Stadt wollte sie einen Stadtentwicklungsplan erarbeiten lassen. In einer Vielzahl von Gutachten und in einer Unzahl von runden Tischen und Diskussionen unternahm sie den Versuch, Hamburg erstmals seit 1973 wieder ein Stadtentwicklungskonzept zu verpassen. Der 1. Stadtdialog am 14. Mai 1993 hatte dieses Politikvorhaben auch in die größere Stadtöffentlichkeit plaziert. Mit Elan und dem Bemühen, neue Wege aus der verkrusteten Hamburger Verwaltungstradition zu finden, werkelte die Stek-Combo an ihrem Konzept.

Als Thomas Mirow im Winter 1993 die Steb übernahm, sah es bald so aus, als wolle er die Arbeit am Stek beenden. Frustiert nahm Stek-Combo-Chef Reinhard Buff seinen Hut und flüchtete nach Eimsbüttel, wo er die Leitung der Stadtplanung übernahm. Nach heftigen internen Auseinandersetzungen wurde die Stek-Arbeit dann auf niedrigerem Level „gerettet“: Statt eines Stadtentwicklungskonzeptes gibt es ein Leitbild, welches dem aus Mirows Sicht wichtigeren Flächennutzungsplan beigestellt wird. Das Urteil der geladenen Experten über diesen Kompromiß fiel unterschiedlich aus: Einige, wie z.B. der TU-Prof. Dieter Läpple, begrüßten, daß die Stadt immerhin einen Schritt in Richtung moderne Stadtentwicklung getan habe, der Fortschritt gegenüber alten Baubehördenzeiten unverkennbar sei. Andere dagegen moserten hinter vorgehaltener Hand über eine „verpaßte Chance“ und konstatierten eine „Beerdigung dritter Klasse“.