Das aufgespießte Paradies

■ „Das Okapi ist schön“: Eine Ausstellung im Gerhard-Marcks-Haus rettet die Tierwelt für die Kunst/ Plastiken von Hartmut Neumann und Hans Scheib

Die Kunst hat den Tieren den Garaus gemacht. Was an Resten von Natur- und Tierverehrung noch in den Nippesregalen der Kaufhäuser vorhanden war, vom Porzellanpudel bis zum Glasschwan, haben Künstler wie Jeff Koons aufgelesen und zu Tode stilisiert – so scheint es zumindest. Aus der Sackgasse solcher Konzeptkitschkunst führen dennoch schmale Pfade wieder heraus. Einige davon werden derzeit in einer Ausstellung im Bremer Gerhard-Marcks-Haus beschrieben. Hartmut Neumann und Hans Scheib weisen dort mit einer ganzen Karawane tierischer Plastiken und Objekte den Weg, eröffnen neue (und vergessene) Perspektiven der Naturbetrachtung – recht vergnügliche noch dazu. Den vorwiegend heiteren Ton gibt der Ausstellungstitel vor: „Das Okapi ist schön“.

Das Wundertier Okapi dient nicht ganz zufällig als Maskottchen der Ausstellung. Es sind die seltsamen, die phantastischen Erscheinungen der Natur, die beide Künstler inspirieren. Und die sie beide bis ins Utopische fortspinnen. „Erträumtes Paradies und drohende Endzeit“: So formuliert Neumann die Pole, zwischen denen er seine wundersamen Tiergestalten ansiedelt.

Das klingt pathetisch, und tatsächlich ist diese Behauptung völlig ernst gemeint. Die Kunst insbesondere Neumanns ist es nun, „das große Thema Natur“ zwar in seiner ganzen Tiefe auszuloten, es jedoch zugleich mit großer Leichtigkeit zu bearbeiten. So steht sein Okapi sorglos an ein paar Früchtchen knabbernd in der Ausstellung, pappmachéschön zurechtgeformt. Als Konsole dient ein Nachttischchen, Eiche Furnier, und erhöht das Tier. Die Schnauze aber, die hat Neumanns Okapi an die Wand gepreßt. In genau diesem Zustand bewegen sich die meisten seiner Phantasieviecher: zwischen schöner Anmutung und äußerster Bedrängnis – bis zum Tode auf dem Grill.

Die Besten ihrer Art verursachen beim Betrachten ein unbehagliches, nicht genau lokalisierbares Kribbeln: Das quietschbunte Material – Legosteine, Topfreiniger, alles, was „eine malerische Wirkung“ zeitigt – verleiht den Tierchen herzerfrischende Heiterkeit; gleichzeitig aber traktiert Neumann sie z.B. mit spitzen Buntstiften („Fakirhund“), quetscht und martert sie unerbittlich.

Die Lieblichkeit eines Paradiesgärtchens und die Banalität der Alltagsschrecken sind hier bildschön miteinander verschmolzen. Vollblütige Symboltiere finden sich in dieser Menagerie allerdings nicht. Zwar spricht Neumann von der „Aura“ der Tiere, von ihrem „Hoffnungspotential“. Aber eine eindeutige Botschaft vermitteln diese nicht. Lieber schickt Neumann sie in eine weite Arena an Bedeutungsmöglichkeiten.

Als gemeinsame Patin haben sich die beiden Künstler die Expressionistin Maria Uhden ausgesucht. Deren Tiergrafiken, von der schwärmerischen Natursehnsucht damaliger Künstlerkreise gezeichnet, sind in einem Kabinett des Hauses ausgestellt. Dem durchdringenden Tonfall dieser Kunst liegt Hans Scheibs Plastik allerdings noch viel näher als Neumanns makabre Kunst. Scheibs Tierwelt ist ganz vom Kampf beseelt. Das grob behauene Holz und die wilde Kriegsbemalung bieten ein ungezähmtes und ungestümes Tierparadies. Kraft und Eleganz sprechen aus allen Fasern seiner Plastiken und Zeichnungen. Hier ist ein Naturbild konserviert, das längst überlebt schien – und sich nun in staunenswerter Vitalität darbietet.

Das alles ist spannend inszeniert: Scheibs kraftvolle Expressivität gegen die heitere Melancholie von Neumanns Tierleben. Eins drauf setzt das Gerhard-Marcks-Haus, wenn es dann noch ein reales Okapi im Foyer aufpflanzt: eine Leihgabe des Überseemuseums – höflich die Besucher begrüßend und verabschiedend, in seiner ganzen ausgestopften Naturschönheit. Wenn Neumann seine Phantasieviecher oft in Glasvitrinen ausstellt, dann ist dies, bei aller legobunten Fröhlichkeit, auch stets der Verweis auf die Distanz, die zwischen den künstlichen Museums-Paradiesen und unserer traurigen Wirklichkeit liegt. Thomas Wolff

„Das Okapi ist schön“, Plastiken und Bilder von Hans Scheib, Hartmut Neumann und Maria Uhden, bis 25.9.