Jedes Mittel war recht

■ Ob erzreaktionär oder kommunistisch - im Widerstand gegen den NS-Staat vereint / Ausgrenzung schon in den Fünfzigern

Sieben Zeitzeugen hatte der „Bund der Antifaschisten“ am Samstag im Audimax der Humboldt-Universität versammelt, um den Widerstand gegen den Nationalsozialismus in seiner ganzen Breite zu präsentieren. Obgleich bereits seit einem halben Jahr geplant, stand die Veranstaltung ganz im Zeichen des Streits um die „Gedenkstätte Deutscher Widerstand“. So betonte Ex-Rektor Heinrich Fink in seiner einleitenden Moderation: „Wir wollen deutlich machen, daß der Widerstand plural war und nicht geteilt werden darf.“

Heinrich Graf von Einsiedel, seinerzeit im Nationalkomitee Freies Deutschland (NKFD), hob dessen Gemeinsamkeit mit den Akteuren des 20. Juli hervor: „Uns war jedes Mittel recht, um Hitler zu stoppen und den Krieg zu beenden, coûte que coûte.“ Gleichwohl dürfe man nicht übersehen, daß sich „alle, die Hitler bis Stalingrad gedient haben, tief in Schuld verstrickt hatten“. Ihnen stellte er die Sozialdemokraten, Kommunisten und liberalen Intellektuellen gegenüber, die schon in den Dreißigern zu einer „Volksfront“ gegen den Nationalsozialismus zusammengefunden hätten: „Die wahren Helden sind die, die von Anfang an Widerstand geleistet haben, ohne zuvor schuldig zu werden.“

Gerade das Bewußtsein dieser Schuld habe viele Wehrmachtsangehörige vom Widerstand abgehalten, meinte Gerhard Leo, der während des Krieges der französischen Résistance angehörte. Auch bei einem Sieg des 20. Juli wäre aus Deutschland kein freiheitlicher Rechtsstaat geworden, mutmaßte er. Obgleich für den Verschwörerkreis nicht repräsentativ, hätten sich der für das Amt des Reichskanzlers vorgesehene Carl Friedrich Goerdeler und der designierte Reichsverweser Ludwig Beck mit ihren reaktionären Vorstellungen durchgesetzt.

Gegen diese Sicht wandte sich Franz von Hammerstein, dessen Brüder an den Vorbereitungen zum 20. Juli beteiligt waren. Der Kreisauer Kreis, so befand er, hätte sich mit seinem Konzept eines friedlichen Miteinander in Europa von Goerdeler und Beck nach einem erfolgreichen Staatsstreich nicht unterbuttern lassen. Nicht allein die Ausgrenzung des kommunistischen Widerstands in der Bundesrepublik und der bürgerlichen Opposition in der DDR sah Hammerstein als Problem, sondern bereits die Einengung auf den deutschen Widerstand. So sei in der Stauffenbergstraße ursprünglich eine Gedenkstätte für den europäischen Widerstand geplant gewesen, schon in der Umwidmung allein für den deutschen Widerstand liege eine Beschränkung.

In der Diskussion wurde zugleich deutlich, wie wenig Anerkennung der Widerstand im Nachkriegsdeutschland fand. In den 50er Jahren, so Graf von Einsiedel, „galt er als schnöder Verrat“. Zumindest für die Wehrmachtsdeserteure trifft das noch immer zu. Der „größte juristische Massenmord“, die 50.000 Todesurteile gegen Fahnenflüchtige, werde noch immer nicht als solcher anerkannt, klagte Ludwig Baumann, der mit einer Zuchthausstrafe davonkam und jetzt der „Bundesvereinigung Opfer der Militärjustiz“ vorsitzt. Erst im Juni ist die Opposition im Rechtsausschuß des Bundestages mit einem Antrag auf Rehabilitierung gescheitert.

Während „Tausende von Kriegerdenkmälern verschleiern sollen, daß die Soldaten für verbrecherische Zwecke mißbraucht wurden“, gilt Baumann noch immer als vorbestraft. Das Recht auf Widerstand, so auch Graf von Einsiedel, wurde nur den Akteuren in höchsten Positionen zugebilligt. Der einfache Soldat, urteilte der Bundesgerichtshof 1964, habe nicht wissen können, daß Hitler einen verbrecherischen Angriffskrieg führe.

Am Rande kam es zu einem Eklat: Der Chefredakteur der rechtsextremen Jungen Freiheit, Dieter Stein, wurde von Teilnehmern des Saals verwiesen. Er habe mit von Einsiedel ein Interview über dessen Verhältnis zur Nation machen wollen. „Aber Graf Einsiedel nicht“, nahm Fink den bereits zum nächsten Termin eilenden PDS-Kandidaten in Schutz. Ralph Bollmann