Die letzten Argumente sind Strang und Fallbeil nicht

■ Es gab nicht nur den 20.Juli 1944: Widerstand gegen den NS-Staat war vielfältig

Nur ein schlichtes Plakat weist auf die Stelle hin, an der die Wachtmeister Trischak und Stenk am 23.April 1945 von einem „Fliegenden Standgericht“ niedergeschossen worden sind. Zur Abschreckung hatte die SS die beiden Männer auf eine Verkehrsinsel am Hackeschen Markt geworfen, wo sie nach stundenlanger Qual grauenvoll starben. Ihr Vergehen: Sie hatten zu verhindern versucht, daß die Naziarmee junge Menschen als letzte Nachhut für den verlorenen Endkampf aus dem Bunker im Schloß Monbijou abholte.

Mit einer Messingtafel gedenkt man immerhin Otto Weidt, der ebenfalls am Hackeschen Markt auf dem Hinterhof in der Rosenthaler Straße 39 eine Blindenwerkstatt betrieb. Bis 1943 gelang es Otto Weidt, die bei ihm beschäftigten blinden und taubstummen Juden vor dem Zugriff der Gestapo zu schützen, und später half er untergetauchten Juden, wo er nur konnte. In der Art des Oskar Schindler gelang es ihm mit einer Mischung aus Bestechungen und Beziehungspflege zu verschiedenen Nazigrößen, eine Anerkennung seiner Blindenwerkstatt als kriegswichtigem Betrieb zu erlangen. Es ist überliefert, daß die Gestapo in seiner Abwesenheit bereits alle seine behinderten Mitarbeiter abgeholt und zum Abtransport nach Auschwitz vorgesehen hatte. Otto Weidt jedoch holte sie durch Verhandlungen, teilweise auch mit Bestechung aus dem Berliner Gestapo-Hauptquartier. Legendär in diesem Zusammenhang – der Zug der Blinden mit Weidt an der Spitze, die sich an den Händen haltend durch die Rosenthaler Straße bewegten.

Der Widerstand gegen den NS- Staat hörte erst bei dessen endgültiger Niederlage auf, und er war in der Stadt auf vielfältige Weise zu finden, stellte der Landesjugendring gestern auf einer Stadtrundfahrt dar. In den Kellern des Reichssicherheitshauptamts neben dem heutigen Gropius-Bau verbrachte der Kopf der Widerstandsorganisation „Rote Kapelle“, Oberstleutnant Schulze- Boysen, seine letzten Tage. „Die letzten Argumente sind Strang und Fallbeil nicht“, blieb er überzeugt. Neben der „Roten Kapelle“, in der Schulze-Boysen im Reichsluftfahrtministerium den linken Widerstand organisierte, neben Priestern wie Bernhard Lichtenberg, die in einer Zeit ihrem Glauben und sich selbst treu blieben, und neben den vielen unbekannten Frauen, die im März 1943 die Freilassung ihrer jüdischen Ehemänner aus dem Sammellager in der Rosenstraße 2 gegen die Nazis durchsetzten, nimmt sich der sogenannte Widerstand der Wehrmachtsoffiziere um Stauffenberg eher bescheiden aus.

Als die Nationalsozialisten im Mai 1942 mit der Ausstellung „Das Sowjetparadies“ ihren Krieg gegen die Sowjetunion nachträglich rechtfertigen wollten und – wie der Völkische Beobachter damals schrieb – „die Fratze des Bolschewismus vorführen“ wollten, waren es beispielsweise junge Kommunisten, die dagegen vorgingen: die Gruppe Baum. Rund 35 ehemalige Mitglieder des Kommunistischen Jugendverbandes (KJVD) um den jüdischen Zwangsarbeiter Herbert Baum verübten am 18.Mai 1942 einen Brandanschlag auf diese Ausstellung. Durch einen Spitzel flog die Gruppe auf. Trotz des geringen Schadens wurden 27 Mitglieder der Gruppe, darunter neun Frauen, zum Tode verurteilt. Die übrigen wurden, wie damals üblich, in Vernichtungslager gebracht. Als „Vergeltungsmaßnahme“ für diese Aktion ermordete die SS 500 Berliner Juden.

Die Vielfalt des Widerstands zeigt der Landesjugendring am 24. Juli auf einer Rundfahrt, die um 11 Uhr am Gropius-Bau beginnt und zur Gedenkstätte Deutscher Widerstand führt. Peter Lerch

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