Nur zum Kosten

■ betr.: „Volksfront ist nur etwas für Feinschmecker“, taz vom 11.7.94

Wulf Schönbohm, CDU, ist ein Feinschmecker. Nein, es geht ihm nicht um Kaviarsahne an Lachs im Fenchelbeet, wenn ihm der Mund wässert.

Es ist das Wort „Volksfront“, von seiner Partei so gern und häufig im Kampf gegen drohende neue Mehrheiten eingesetzt, das nur er und seinesgleichen sich auf der Zunge zergehen lassen können. Denn es braucht Ahnung, um es zu genießen. Ahnung von Politik und Geschichte. So, wie er sie hat, aber auch sein Chef und unser aller Kanzler, der historisch gewordene Historiker. Ob die zwei Kenner im besinnlichen Tête-à-tête darüber lächeln müssen, daß die doofe Linke ihren Genüssen nicht auf die Spur kommt?

Denn es braucht schon Chuzpe, um diesen Begriff gegen Menschen, Parteien oder Gruppierungen einzusetzen, die sich im mehrfach gewendeten Deutschland bilden könnten. Und es braucht Vertrauen in die Trotteligkeit des politischen Gegners, der so verunsichert ist, daß ihm gar nicht auffällt, wie schon einmal in der deutschen Geschichte Stimmung gegen die „Volksfront“ gemacht wurde, mit ganz ähnlichen Visionen von Untergang und Verfall: von Hitlers NSDAP nämlich! Schönbohm, der Feinschmecker, vertraut auf den linken Bratkartoffeldunst, der solche sensiblen Erkenntnisse den wahren Gourmets vorbehält. Er hat die Finger in der silbernen Schale: er selbst benutzt den Begriff nicht. Und insgeheim fragt er sich, wieso überhaupt irgendein Demokrat, der sich lauthals zum Gegner des NS-Regimes erklärt, die Diffamierung der „Volksfront“ zuläßt, die doch seinerzeit Deutschland und die Welt hätte retten können? (Wie gesagt, wenn sie gegen Hitler zustande gekommen wäre.) Deshalb nimmt er das Wort auch nicht öffentlich in den Mund. Nur zum Kosten. Denn er kennt sich aus. Helma Sanders-Brahms