Tausende Palästinenser stürmen Kontrollpunkt

■ Checkpoint zum Gaza-Streifen attackiert: Mindestens zwei Tote

Tel Aviv (taz) – Am Hauptkontrollpunkt zwischen Israel und dem Gaza-Streifen ist es gestern zu den schwersten Auseinandersetzungen seit Beginn der palästinensischen Autonomie gekommen. Bei Kämpfen zwischen Tausenden unbewaffneten palästinensischen Arbeitern und Einheiten des israelischen Militärs und Grenzschutzes am Checkpoint Erez wurden mindestens zwei Palästinenser getötet und fast 100 Menschen verletzt. Nach israelischen Angaben handelt es sich bei den Toten um einen 24jährigen Mann aus Chan Junis und einen 25jährigen aus Rafah. Palästinenser hatten zuvor von elf Toten gesprochen. Nach israelischen Angaben wurden 20 Israelis und 75 Palästinenser verletzt. Ein israelischer Soldat schwebte gestern in Lebensgefahr. Nach Angaben des palästinensischen Rundfunks wurden auch sechs palästinensische Polizisten verwundet.

Die Unruhen begannen um zwei Uhr in der Nacht. Allem Anschein nach verloren palästinensische Tagelöhner, die vom Gaza- Streifen nach Israel reisen wollten, an einem palästinensischen Kontrollpunkt die Geduld. Sie durchbrachen die Absperrung und stürmten zum dahinterliegenden israelischen Kontrollpunkt. Früher mußte an der Stelle nur eine (israelische) Kontrolle passiert werden. Seit Inkrafttreten der palästinensischen Autonomie werden Durchreisende zweimal kontrolliert: zuerst von palästinensischen Polizisten, dann von israelischen Militärs. Die uniformierten Palästinensern arbeiten im engen Einvernehmen mit ihren israelischen Kollegen. Durch die doppelte Kontrolle kann die Prozedur mehrere Stunden in Anspruch nehmen. Erst nach möglicherweise zwei Leibesvisitationen und mit doppelt durchwühltem Gepäck erfährt der Durchreisende von den Israelis, ob er in das Land gelassen wird oder wieder umdrehen muß. Bereits vor einer Woche kam es an der Stelle zu Zusammenstößen, als palästinensische Arbeiter keine Einreiseerlaubnis nach Israel erhielten. Die Israelis schlossen darauf für einen Tag den Übergang.

Gestern machten einige tausend palästinensische Arbeiter ihrem Ärger über die Kontrollen Luft. Sie sind darauf angewiesen, zwischen Israel und dem Gaza-Streifen zu pendeln, weil es in dem Autonomiegebiet keine Arbeit für sie gibt. Nachdem die ersten Palästinenser versucht hatten, die Sperre zu durchbrechen, wurden die israelischen Grenzer mit Panzerwagen verstärkt. Soldaten eröffneten das Feuer. Israels stellvertretender Verteidigungsminister Mottar Gur begründete die Schüsse damit, daß sich die Israelis in Lebensgefahr befunden hätten.

Die Zusammenstöße hielten stundenlang an. Palästinenser steckten eine israelische Tankstelle und 19 Autobusse in Brand. An den Unruhen beteiligten sich auch bewaffnete israelische Siedler und palästinensische Polizisten, die von ihren südlicher im Gaza- Streifen gelegenen Kontrollposten Warnschüsse abgaben. Nach Aussagen von Augenzeugen schossen palästinensische Polizisten vereinzelt auf israelische Militärs. Der genaue Hergang soll von dem gemeinsamen Koordinationsausschuß der israelischen und palästinensischen Sicherheitskräfte ergründet werden.

Gur verlangte von dem jetzt offiziell im Gaza-Streifen residierenden PLO-Chef Jassir Arafat, die Angelegenheit mit seiner Polizei zu überprüfen. Auch in einigen Städten in der Westbank kam es gestern zu Zusammenstößen zwischen Israelis und Palästinensern. Die israelischen Behörden verhängten in den entsprechenden Gebieten eine Ausgangssperre. Amos Wollin