Politiker mimen Entrüstung

Wo 900 Rechtsextreme einen Liederabend abhielten, protestierte genau eine Woche später ein kleines Häufchen von Aufrechten  ■ Aus Rüdersdorf Annette Rogalla

Einige waren gekommen. Immerhin. Achtzig mögen es gewesen sein, die sich am Samstag vor dem pompös-stalinistischen Kulturhaus von Rüdersdorf bei Berlin zusammenfanden, Politiker, Bodyguards und Pressevertreter mitgezählt. Dabei sollte es doch eine eindrucksvolle Demonstration gegen Rechts werden, nach dem Motto: Ein Dorf sagt nein. Wenn auch nachträglich. So hatte sich das jedenfalls Bürgermeister Wilfried Kroll (SPD) gewünscht. Noch am Vormittag hatte er einen Lautsprecherwagen durch den kleinen Ort geschickt. Aber die meisten der 11.000 Einwohner blieben zu Hause. Wie eine Woche zuvor, als die 900 Rechten ankamen, in gewichsten Stiefeln und schwarzen Hosen zum Konzert maschierten. Auch da haben sie höchstens mal einen Blick durch die Gardine riskiert. „Wenn die Resonanz so schlapp ist, zeigt das doch, daß Rüdersdorf ein guter Ort für Rechtsradikale ist.“ Bis über beide Ohren frustriert ist die junge Frau. „Die meisten werden sich gesagt haben: Ist doch gar nichts passiert, als die Rechten hier waren“, tröstet ihr Mann.

Die angereiste Politprominenz sieht großzügig über die klägliche Beteiligung hinweg. Vom Podium herab versichert Innenminister Alwin Ziel (SPD), „immer dankbar“ zu sein, „wenn Bürger gegen Rechts Flagge zeigen“. Er hat's nötig. Seine Polizeibeamten hatten am Samstag zuvor an gleicher Stelle furios versagt. Gut hundert von ihnen sahen tatenlos dem Einmarsch der Rechten zu. Bereits zwei Tage zuvor waren sie von den Berliner Behörden über den als Gitarrenkonzert getarnten Auftritt des rechten Barden Frank Rennecke informiert worden. Alwin Ziel hatte angeordnet, das Konzert zu verbieten. Nichts dergleichen geschah in Rüdersdorf.

Selbst eine Woche danach redet Ziel das Versagen klein. Lapidar konstatiert er „handwerkliche Fehler“ bei der Polizei. Einzig der vorläufig vom Dienst suspendierte Einsatzleiter habe versagt. Nicht etwa in der Nähe des Kulturhauses schlug er sein Quartier auf, sondern er verzog sich in das drei Kilometer entfernte Krankenhaus. Dann soll auch noch sein Funkgerät kaputtgegangen sein. Alwin Ziel verkauft die Pleiten, Pannen und Dummheiten der Polizei als unglückliche Fehlerkette.

Damit auch niemand auf den Gedanken der klammheimlichen Sympathie der Polizei mit den Rechten kommt, versichert Ziel, in Brandenburg werde alles getan, um die Rechten „zu eliminieren“. Dabei habe der suspendierte Polizeirat Schadow bislang immer „gut mitgearbeitet“. Gerührt dankt der Innenminister dem treuen Beamten. Die Rüdersdorfer Demonstration gerät vollends zur Wahlkampfveranstaltung, schließlich wird in zwei Monaten der Brandenburger Landtag neu gewählt. Die spannendste Frage ließ der Innenminister wohlweislich aus: Wie konnte die Kette des Versagens zustande kommen? Nicht einmal ein Zeitprotokoll, aus dem die Abfolge der polizeilichen Fehlentscheidungen zu rekonstruieren wären, kann seine Behörde eine Woche nach dem Konzert vorlegen.

Alwin Ziel wusch sich in Rüdersdorf selbst rein. Rücktrittsforderungen, die im Laufe der vergangenen Woche von allen Seiten laut geworden waren, parierte er kurz und bündig: „Der Rücktritt des Ministers ändert nichts am Problem.“ Fertig, aus. Eher amüsant als erhellend, der Auftritt des zuständigen Polizeipräsidenten von Frankfurt/Oder, Hartmut Lietsch (FPD). Der wußte vor lauter Aufregung gar nicht mehr, wo er sich befand. „Ich bedauere persönlich, daß der Vorfall hier in Eisenhüttenstadt nicht den gewünschten Erfolg gezeitigt hat.“

Harten Fragen mußten sich weder Polizei noch Politiker aussetzen. Selbst der couragierte Bürgermeister von Rüdersdorf, Winfried Kroll, blieb zahm. Er war während des Konzerts im Kulturhaus und telefonierte in halbstündigem Abstand mit der Einsatzleitung im Potsdamer Innenministerium. Der zuständige Leiter, Ullrich, versprach, ab 19.30 Uhr fortwährend Hilfe zu senden. Niemand kam, fünfeinhalb Stunden nicht. Hat Ziel dafür eine Erklärung? Parteifreund Kroll fragte nicht nach.

Seiner Empörung über die Pleiten, Pannen und Vertuschungen machte der Leiter des Ordnungsamtes, Jörg Lehmann (Bündnis90/ Die Grünen), Luft. Warum fragte die Polizei bei ihm nicht um Hilfe, warum schlug sie sein Angebot aus, ihr Einsatzzentrum in seinem nahen Büro aufzuschlagen? Bürgerrechtler Günter Nooke (BürgerBündnis) notierte die Vorwürfe. Am kommenden Donnerstag wird er sie erneut Innenminister und Polizeipräsident vorlegen. Hoffentlich läßt der Innenausschuß des Landtags sich nicht mit lapidaren Antworten abspeisen.