Ironie und ihre tiefere Bedeutung

■ Freispruch für HH 19: „Nur weil's in der Zeitung steht, wird doch kein Haus besetzt“

Es sollte eine ironische Bemerkung sein, als Jörn Breiholz vom Stadtteil-Magazin „HH 19“ unter der Rubrik „Leerstand des Monats“ mit „spitzer Feder“ das Wort „besetze...“ tippte. Gestern stand der Hobby-Journalist deswegen vor dem Kadi. „Aufruf zu einer Straftat“ – so der Vorwurf. Doch Amtsrichter Wolfgang Wiese wollte den „Schlag gegen die Pressefreiheit“ (HH 19) nicht mitmachen: „Freispruch!“

Bei Hamburgs Spekulanten und Immobilienbesitzern ist das Monats-Magazin gefürchtet. Immer wieder machte HH 19 in den zwei Jahren seines Bestehens auf Mißstände aufmerksam, so in der Rubrik: „Leerstand des Monats“. In seiner Dezember-Ausgabe widmete sich die Stadtteil-Zeitung dem Haus Max-Brauer-Allee 128 in Altona: „Ein schöner Altbau, der schon seit Monaten ganz leer steht. Besetze....!“

Volltreffer! Die stadtstaatliche Stadtentwicklungsgesellschaft (Steg), die das Haus für die städtische Sprinkenhof AG verwaltete, fühlte sich auf den Schlips getreten und erstattete Anzeige. Allerdings zog die Steg den Strafantrag nach einem ersten klärenden Gespräch wieder zurück. Die HH-19-MacherInnen vermuten ein schlechtes Gewissen der Steg, weil sie dem Bezirksamt Altona den Leerstand nicht gemeldet hatte. Breiholz' Behauptung: „Das Haus hat streng genommen illegal leergestanden.“ Außerdem hätte die Steg durch die befristete Vermietung des Gebäudes an 15 Obdachlose – was sie, zeitgleich mit der Veröffentlichung des Artikels, seit Dezember tut – zusätzlich zum guten Werk der Stadt die teure Hotelunterbringung ersparen können. Breiholz: „Das sind immerhin 540.000 Mark, die die Stadt dafür aufwenden muß.“

Staatsanwalt Dr. Behn zeigte sich unglücklich über den Fall, den sein Kollege nicht zu den Akten legen wollte - „Offizialdelikt“. Behn wollte am liebsten das Verfahren einstellen, hätte der Angeklagte seine eigenen Kosten übernommen. Doch Jörn Breiholz weigerte sich: „Ich finde das nicht fair. Ich habe aufgezeigt, wie die Stadt täglich 750 Mark sparen kann, und jetzt soll ich dafür auch noch 1000 Mark an Anwaltskosten blechen.“

Und dann wurde es juristisch. Breiholz' Anwalt Manfred Getzmann zog eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs von 1984 aus der Tasche, in der es um eine inkriminierte Parole ging - „Tötet Cremer, hängt Brandt, – Tod dem Wehner“. Das Gericht kam damals zu der Auffassung, daß es sich bei der Parole um keinen konkreten strafbaren Aufruf handele, sondern nur um eine „unpassende Unmutsäußerung“ – höchstens um eine Sympathiekundgebung für diejenigen, die wirklich Cremer, Brandt und Wehner an den Kragen wollten. Getzmann: „Nur weil das Wort ,besetze' in einer Zeitung geschrieben wird, fühlt sich niemand aufgefordert, ein Haus zu besetzen.“ Dieser Auffassung schloß sich Amtsrichter Wiese an.

Kai von Appen